Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
das Weihnachtsfest. Er wollte nicht daran denken, es war eine groteske Erinnerung, aber es war unvermeidlich, dass er sich hier und in diesem Zimmer erinnerte: Hier gab es keine Schutzwälle, nur eine bizarre Erinnerung, eine Erinnerung an Leben und Tod. Warum jetzt? Ich habe es verdrängt, Angela hat es verdrängt, nichts ist passiert, uns ist nichts passiert, nichts Gefährliches. Ich habe es nicht verdrängt. Jetzt sehe ich den verdammten Weihnachtsmann, er kann an unserem Strand entlanggehen, unserem Strand hier, unserem Strand dort . Ich will mich nicht erinnern, und ich erinnere mich trotzdem.
Damals hatte alles so gut angefangen. Es sollte das beste aller Weihnachtsfeste werden, wie immer. Selbst Erwachsene hatten vor Weihnachten Erwartungen, auch er; in der Hinsicht war er nicht anders, eher umgekehrt. Er versuchte immer, einige Tage vor dem Fest freizunehmen, damit er das Essen vorbereiten konnte: den Schinken kochen, Rippchen grillen, die Fleischklößchen braten, nach seinem eigenen extrem geheimen Rezept, Rote-Bete-Salat anrichten, Rotkohl schnibbeln und ihn mit Sirup aufkochen, Hering braten und verschieden einlegen, aus Heringen und Tomaten die »falschen Krebse« zubereiten, Bückling gratinieren, den Graved Lachs machen, er bereitete alles von Grund auf vor. Dann die Einkäufe für all das planen, was auf die Minute zubereitet und am Nachmittag vor Heiligabend erledigt werden musste: die Cocktailwürstchen, den frisch geräucherten Lachs, die geräucherten Würste, die zum Omelett in Sahne eingekochten Trompetenpfifferlinge, die Eier, deren Hälften mit Mayonnaise, Krabben und Dill gefüllt wurden, die Kartoffeln, Zwiebeln, Anchovis und Sahne für »Janssons Verführung«, diese wunderbare Erfindung, auf die keine schwedische Weihnachtstafel verzichten konnte, ein alchemistisches Wunderwerk, bei der große Kunst aus einfachen Zutaten geschaffen wurde. Es war immer so, das Einfache war das Große, und für ihn war der größte Moment vom ganzen Weihnachtsfest, wenn er spät in der Nacht vor Heiligabend den frisch grillierten Weihnachtsschinken aus der Backröhre zog, außen warm und knusprig, und eine dicke Scheibe davon abschnitt, die er auf eine gebutterte Roggenbrotschnitte legte und mit scharfem Senf bestrich, dessen grobe Körner er mit einer Kanonenkugel gemörsert hatte. Er aß mit tränenden Augen und trank ein bitteres Bier und ein Schnapsglas Kümmelbranntwein dazu. Come what may! Er war zu allem bereit, wenn er nur diesen Moment auf Erden erleben durfte.
So war es in der besten aller Welten. Damals war er mitten in dieser Welt, er stand in der Markthalle und wartete geduldig darauf, dass seine gezogene Nummer auf der Anzeigetafel erscheinen würde, es schien Stunden zu dauern, vor der Fleischtheke drängten sich furchtbar viele Leute, vor allen Verkaufsständen, aber er war glücklich, er konnte hier stehen und die Düfte einsaugen und all die Herrlichkeiten sehen und sich darauf freuen, was ihn während der Weihnachtstage erwartete, es waren nur noch drei Tage bis Heiligabend, es war die Zeit der Erwartung, es war nicht nur die Zeit der Kinder, sie gehörte allen, die in diesem unserem Universum leben.
Sein Handy klingelte. Er schaute auf das Display.
»Ja, hallo, Bertil.«
»Du musst wohl reinkommen, Erik.«
»Reinkommen? Ich bin doch gerade gegangen. Seit einer halben Stunde stehe ich in der Schlange bei Wedbergs. Denkst du, ich gebe meinen Platz in der Schlange auf?«
»Wir haben einen Brief bekommen.«
»Einen Brief?«
»Man könnte auch Weihnachtsgruß sagen. Ich möchte, dass du einen Blick darauf wirfst.«
»Aber ich muss noch die Rippchen und einen Haufen anderer Sachen kaufen.«
»Kannst du dich nicht vordrängeln? Du hast doch deine polizeiliche Erkennungsmarke dabei und alles. Sag, dass es sich um einen Notfall handelt.«
Sie hatten in Ringmars Zimmer gesessen. Ringmar hatte mit dem Kopf auf die Karte vor Winter gedeutet, eine Weihnachtskarte größeren Formats in der Papierstärke einer Ansichtskarte.
»Was sagst du?«
Winter schaute auf die Karte.
Darauf war ein Weihnachtsmann abgebildet, der irgendwo auf der Welt vor einem Haus stand und etwas hochhielt, vor sich hielt. Winter betrachtete das Bild aus der Nähe, bewegte es vor und zurück, um scharf sehen zu können, er brauchte noch keine Brille, was an und für sich eine Sensation war, er konzentrierte sich auf den Gegenstand in der Hand des Weihnachtsmanns. Das Ding trug eine Weihnachtsmannmütze.
»Kannst
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