Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
Anschlagtafel an der Brücke gestanden, und es stimmte sicherlich. Das war vor seiner Zeit gewesen. Es gab nicht viele, die dabei gewesen waren und heute noch lebten. Und nicht viele würden die nächste Eiszeit erleben. Bevor die kam, würde es so verdammt heiß werden, dass alles Eis der Erde schmelzen würde. Die feinen Protzvillen da unten würden im Wasser versinken. Wie gerecht das war! Aber hier oben würde es trocken bleiben. Vielleicht sollte er hier alles abwarten.
»Wollen wir hier bleiben, Jana?«, fragte er, aber sie war schon wieder auf dem Weg nach unten.
Er folgte ihr auf einen anderen Felsen. Jetzt lag der überwiegende Teil des Meeres in ihrem Rücken. Er blickte aufs Festland. Drüben näherte sich ein Auto und parkte im Jachthafen.
Sie gingen den Fahrradweg entlang nach Järkholmen. Die Wellen linker Hand waren, während sie auf den Strand zurollten, zu Eis gefroren, wie eine Fotografie, die sich auflösen würde, wenn das Leben bei Frühlingsanbruch weiterging. Das Meer war ein lebender Organismus. Winter wollte es jeden Tag sehen, es jeden Tag berühren. Der Tag näherte sich, an dem er das symbolische Band auf seinem Grundstück, fünfzehn Kilometer von hier entfernt, zerschneiden und den ersten symbolischen Spatenstich tun würde. Symbol wofür?, dachte er, als die Badeschuppen vor ihnen in einem überraschenden Sonnenstrahl jäh in Gelb, Rot und Blau explodierten.
Im Augenblick hatte er das Gefühl, ein Grab zu graben; alles Graben ist wie der Anfang eines Grabes. Der Wind hatte den Strand vom Schnee befreit. Winter bückte sich und strich über das dünne Eis. Es war glatt wie Sand, es sah aus wie Sand, aus dem die Ruinen einer Sandburg ragten. Ein Turm stand noch und ein Großteil der Mauer. Die Kälte würde die Burg noch einen weiteren Monat erhalten. Vielleicht hatten zwei Kinder, die Erik und Anna hießen, sie gebaut und für die Nachwelt hinterlassen. Vielleicht hatten sie vorgehabt, im Frühling zurückzukommen und die Burg zu reparieren und auszubauen. Dann würde es eine ewige Burg werden. Im Sommer würde er mit Elsa und Lilly mit dem Rad hierherfahren und bei der Erhaltung und beim Bauen helfen. Bis dahin war es noch lang. Es war eine andere Welt, vielleicht eine bessere.
»Da sind wir also«, sagte sie.
»Keiner vertreibt uns«, sagte er.
»Ich kann mir vorstellen, was hier im Sommer los ist«, sagte sie.
Er wandte sich zum Land um. Der Berg auf der anderen Seite des Weges reckte sich wie eine geballte Faust in den Himmel. Was hast du jetzt getan, Gott? Konntest du uns nicht wenigstens in diesem Paradies am Meer in Frieden lassen? Darf es denn nicht irgendwo noch einige Paradiese geben?
Er hörte sie etwas hinter seinem Rücken sagen.
»Wie bitte?« Er trat näher an sie heran. Er wusste, dass er ihre Worte hätte verstehen müssen. Das Sausen zwischen seinen Ohren kaperte die hohen Töne, ehe sie ihn erreichten. Aber sie sprach ziemlich leise.
»Vielleicht gehörte dieser Strand der Familie«, sagte sie. »Leute, die hierherkamen, kannten sie.«
»Ja.«
»Wir könnten zu ihnen gehen.«
»Ja.«
»Sie scheinen jedenfalls nicht zu uns kommen zu wollen.«
»Nein.«
»Hörst du mir zu?«
»Natürlich.«
»Du scheinst in Gedanken irgendwo anders zu sein. Du schaust mich nicht an.«
»Ich schaue die Stämme an, die zwischen den Inseln aus dem Sund ragen. Sie sehen aus wie Soldaten.«
»Soldaten?«
»Wir gehen zu dem Haus«, sagte er, drehte sich um und begann, die Felsen hinaufzuklettern. Ein vergessener Spielzeugeimer aus blauem Plastik rollte im Wind hin und her. Kürzlich hatte er einen Spaten in derselben Farbe gesehen, aus demselben Plastik. Er wollte nicht mehr sehen.
Als sie über den Fahrradweg zurückgingen, bemerkte er, dass sich die offene Rinne im Sund in der letzten halben Stunde geschlossen hatte. Bald würde man von der Ågrenska-Behindertenzentrale zu Fuß nach Lilla Amundö gehen können. Obwohl dort nicht alle gehen konnten.
Sie kamen an einem Verkehrsschild vorbei, auf dem eine erwachsene Silhouette die Silhouette eines Kindes an der Hand hielt, einen Kilometer lang bis zum Jachthafen sollten sie sich an der Hand halten. Überall Kinder, Kinder, Kinder, auf Bildern, in Gedanken, Erinnerungen. Dies ist mein erster Fall, dachte er. Vor diesem Fall habe ich nichts getan. Ein Fall wie dieser hat mich zurückgelockt. Meine Bitte wurde erhört. Etwas Größeres hätte ich mir nicht wünschen können.
Auf einen Felsen hatte jemand das Wort FRIEDEN
Weitere Kostenlose Bücher