Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
gefragt.«
»Nein.«
»Dann … muss ich es missverstanden haben.«
»Ist etwas passiert, das sie verändert haben könnte?«
»Was sollte das sein?«
»Etwas, das Ihnen neu an ihr vorkam?«
»Nein.«
Er stand auf, blieb stehen, sah aus, als wüsste er nicht, warum er aufgestanden war. Vielleicht gehörte es zu den Gepflogenheiten dieses Unternehmens, dass man aufstand, wenn man ein Gespräch für beendet hielt. Aber hier bin ich es, die sich erhebt. Und ich sitze noch. Sie wollte aufstehen. Sie wollte hinaus unter den großen Himmel, den sie durch das Fenster sah. In der Ferne zeichnete sich die Älvsborgsbrücke ab, die im Dunst größer wirkte, als sie war.
Sie erhob sich. Wahrscheinlich würden sie sich bald wiedersehen.
»Danke«, sagte sie.
»Ich bin Ihnen gern behilflich. Der Fall muss gelöst werden. Es ist furchtbar.«
Er wirkte erleichtert. Jetzt bemerkte sie den Schweiß in seinem Haaransatz.
Gerda Hoffner fuhr nicht direkt nach Hause. Sie nahm einen Dienstwagen aus der Garage des Präsidiums und fuhr Richtung Süden. Jetzt konnte sie niemanden anstecken. Und sie fühlte sich besser, schon seit einer halben Stunde hatte sie nicht mehr gehustet. Dafür hatte wohl Aneta gesorgt, bestimmt hatte sie magische Kräfte. Hoffner lächelte vor sich hin und dachte an Anetas Masken aus Burkina Faso, die bei ihr zu Hause an der Wand hingen. Hoffner hatte sie gesehen, als sie mit einigen Kollegen aus dem Dezernat Walpurgis in dem Haus in Lunden gefeiert hatte. Es war ihre erste Feier zusammen mit Fredrik, Aneta, Bertil und Torsten gewesen, die alte Clique, die vom fünften Rad am Wagen geredet hatte, von Erik, der vermutlich nie aus seinem Asyl nach Hause kommen würde. Fredrik war erst kürzlich Kommissar geworden, Schwedens ältester neuernannter Kommissar, wie er sagte, alle hatten gelacht, aber sie hatte gesehen, dass sein Lachen nicht bis in die Augen reichte, und ihr war klargeworden, dass Fredriks Beziehung zu Erik immer kompliziert gewesen und auch nicht besser geworden war, als der Chef plötzlich vom Himmel gefallen und mitten in diesem Fall gelandet war. Erik hatte nicht viel gesagt, aber er wollte wieder hinein, das konnte sie verstehen, sie verstand es jeden Tag besser, und das erschreckte sie manchmal.
Sie wählte die Nummer. Keine Antwort. Robin Bengtsson hatte seine schwarze Schicht schon vor mehreren Stunden beendet, und er hatte versprochen anzurufen, ganz gleich, ob er noch etwas gesehen hatte oder ihm noch etwas eingefallen war oder nicht. Ihr blieb nichts anderes übrig als zu warten, er war wohl einer der unzuverlässigen Typen. Sie hatte nichts gesagt, als Winter ihn noch einmal auf die Zeitungsrunde geschickt hatte, Winter musste ja wissen, was er tat. Aber jetzt war Robin vermutlich abgehauen, ohne sich über die Konsequenzen klar zu sein, war vielleicht unterwegs nach Christiania, falls es das noch gab, oder einem Viertel in Gårda. Aber er sah nicht aus wie ein Junkie. Er sah auch nicht wie ein junger Alkoholiker aus. Er sah aus wie ein Zeitungsbote, der schwarz arbeitete.
Sie rief wieder an, keine Antwort. Es gab noch eine andere Alternative, aber an die wollte sie nicht denken, noch nicht. Sie dachte an das Haus, das verurteilte Haus. Sie wollte in dem Haus herumgehen, dort wollte sie nachdenken. Aber sie fürchtete sich davor. Das könnte etwas mit mir machen, was mich für immer verändert, dachte sie, und genau das will ich, das erschreckt mich. Mehr als alles andere, was mich erschreckt.
Vom höchsten Punkt von Bäckebo sah sie das Eis bis hin zum offenen Meer glänzen, dünn und zerbrechlich wirkte es von hier oben. Dort unten würde es eine falsche Sicherheit vorgaukeln, wie Sicherheit stets mit einer trügerischen Schicht bedeckt ist, die nur von demjenigen wahrgenommen wird, der sie von einer höheren Warte betrachten kann. So einfach war das.
Der Parkplatz war leer. Christian Runstigs Auto war vom Dezernat der Spurensicherung abgeholt worden. Sie hatten kein Blut gefunden, jedenfalls bis jetzt nicht, das Blut nicht gefunden , dachte sie, als sie am Spielplatz vorbeiging, der auch leer war. Alles im weiten Umkreis war leer seit dem Verbrechen. Der Effekt aller Verbrechen: Leere, Leere und Terror, Strafe für die Unschuldigen.
In Amundövik hatte es früher vermutlich nur einen Weg, einen Pfad gegeben. Jetzt gab es eine Straße. Eine Straße für die Glücklichen, denen es gelungen war, hier Besitz zu erwerben, die sich ein Haus in diesem Land des Glücks leisten
Weitere Kostenlose Bücher