Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
Kinderwagen vor sich her schoben.
»Das ist es … wie sollen wir dort leben? Wenn sie es erst einmal begreift? Wenn Greta groß genug ist. Wann soll ich es ihr erklären … in dem Zimmer … in dem Zimmer.«
»Sie müssen sich ja nicht sofort entscheiden«, sagte Ringmar.
»Vielleicht werde ich es nie tun«, sagte Mars.
»Was ist mit Ihrer Arbeit?«
»Die ist noch da. Aber ich weiß nicht, ob ich sie … ob ich weitermachen will. Wahrscheinlich fahre ich nicht zurück in diese wahnsinnige Stadt.«
»Nein. Sie können sich mit allem ein bisschen Zeit lassen.«
»Reicht das? Reicht die Zeit?«
Nein, dachte Ringmar, die Zeit reicht nicht, alle Zeit der Welt reicht nicht, Äonen von Jahren reichen nicht. Die Zeit heilt keine Wunden, das ist nur Scheißgerede, mit den Jahren wird alles nur noch schlimmer, das weiß doch jeder.
»Ich verstehe nicht, wie Sie für so etwas die Verantwortung übernehmen können«, hörte er Mars sagen. »Wie zum Teufel können Sie für so etwas Verantwortung übernehmen?«
Die Frauen standen jetzt am Tresen und bestellten etwas. Beide lachten. Das Mädchen hinter dem Tresen lachte auch. Sie waren Stammkundinnen, genau wie er und Erik Stammkunden bei Alströms waren. Stammkunden gewesen sind. In diesem Winter waren sie noch keinmal dort.
Mars sagte wieder etwas.
»Verzeihung, wie bitte?«
»Wofür übernimmt die Polizei eigentlich Verantwortung? Wofür übernehmen Sie Verantwortung?«
»Für so viel, wie meine Kraft reicht«, sagte Ringmar.
»Die Morde«, sagte Mars, »für die übernehmen Sie Verantwortung. Ihre Verantwortung sollte darin bestehen, dass Sie den Teufel finden, der das getan hat. Das ist Ihre Verantwortung. Haben Sie gehört?«
Er hatte lauter gesprochen. Ringmar hatte ihn schon verstanden.
»Ich höre«, sagte er.
Hoffner schloss die Tür auf, betrat die Diele und stieg die Treppe hinauf. Das Haus hallte wider von Leere und Einsamkeit. Vielleicht würde es immer so bleiben. Sie wusste nicht, ob der Mann mit seinem Kind wieder einziehen würde, niemand wusste das. Am besten wäre vielleicht, er täte es nicht. Vielleicht zog er in eine Zelle. Im Augenblick wusste auch das niemand. Im Obergeschoss war alles Bewegliche, das etwas erzählen könnte, ausgeräumt. So hatte es Barbara von der Spurensicherung vor gar nicht langer Zeit ausgedrückt. Erzählungen. Jeder Gegenstand hat etwas zu erzählen.
Hier konnte man nichts mehr zerstören.
Was hatte gefehlt, als Winter und Ringmar zum ersten Mal dieses Haus betreten hatten? Mehr als das Leben von drei Personen? Sie wusste noch nicht alles, hatte aber von dem fehlenden Nuckel gehört.
Der Fußboden in dem Zimmer mit dem großen Fenster war aus Holz und blank wie poliertes Eis, helles Holz, sah teuer aus. In der Mordbibel könnte sie es nachlesen, wenn sie wissen wollte, was für eine Holzart es war, alles, was der Mensch wissen musste, stand in einer Mordbibel. Früher hatte der Ausdruck die Anleitung bei einer Mordermittlung bezeichnet, Winter hatte ihn übernommen, jetzt umfasste er die gesamte Ermittlung, die alles enthielt.
Hatte hier jemand gestanden? War hier herumgegangen? Nach den Morden? War das möglich? Das Haus wurde noch immer bewacht, aber nicht mehr lange.
Sie schaute durchs Fenster auf das Meer, die Straße da unten, die Briefkästen, die Häuser, den Fahrradweg, die Bunker, die Schlösser, die Felsen und Schären, die Brücke, die zu der größeren Insel hinüberführte, das Eis zwischen den Inseln; von Winters Verfolgungsjagd da draußen waren keine Spuren mehr zu sehen.
Den Blick noch immer auf das gefrorene Meer gerichtet, nahm sie ihr Handy heraus.
Torsten Öberg meldete sich nach dem zweiten Signal. Sie erzählte, wo sie stand.
»Könntest du jemanden herschicken?«, sagte sie. »Es ist etwas mit dem Fußboden. Oder mit dem Fenster.«
»Natürlich.«
Sie sah sich um, als suche sie nach der Zeit, jenen Minuten , als könnten sie sich mitteilen, vielleicht durch das Schlagen einer Wanduhr, auf irgendeine Art, aber es war nichts anderes zu hören als die Stille und von irgendwoher ein Brausen, vielleicht vom gefrorenen Meer, das Wasser unter dem Eis musste sich wohl immer noch bewegen, es konnte ja nicht still stehen, nur weil es im Eis gefangen war.
Als sie nach draußen kam, sah sie den Gartenpavillon, der hoch oben im Nachbargarten wie auf einem eigenen Grundstück stand, ein Haus für sich. Von dort musste der Ausblick noch besser sein, von dort sah man sicher alles.
Die
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