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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gewinnen. Vom Fluss her peitschte ihm ein kalter Wind ins Gesicht und schlug ihm die Hosenbeine gegen die Knöchel; die Nässe stach ihm in die Haut und kroch durch die Lücke zwischen Schal und Kragen. Am gegenüberliegenden Ufer sah er das Parlamentsgebäude mit seiner prächtigen gotischen Fassade. Laut der Uhr in dem Turm, der die erst vor wenigen Jahren gegossene Glocke Big Ben beherbergte, war es zwanzig Minuten vor elf. Er hatte gar nicht gemerkt, wie lange er bei Cardman geblieben war.
    Die Schultern zum Schutz gegen die Kälte hochgezogen, lief Monk weiter und beschleunigte seine Schritte. Hansoms fuhren vorbei, aber sie waren alle besetzt. Hätte er Cardman offen fragen sollen, ob er glaubte, dass Havilland Selbstmord begangen hatte? Er hielt den Butler für einen guten Menschenkenner und eine starke Persönlichkeit. Mehr noch: Er war auch loyal. Was immer er glauben mochte, einem Fremden gegenüber würde er nie zugeben, dass erst sein Herr und nach ihm seine Dienstherrin einen solchen Akt der Feigheit vor dem Gesetz der Menschen und Gottes begangen hatten. Sein eigenes Urteil war wohl klüger und milder, aber selbst wenn er ihnen die Schuld gab, hätte er sie in keinem Fall vor der Welt bloßgestellt.
    Als er die Brücke zur Hälfte überquert hatte, sah Monk eine leere Droschke in die andere Richtung fahren. Er trat auf die Fahrbahn, winkte den Kutscher zu sich und nannte ihm die Adresse von Runcorns Polizeiwache.
    Die Fahrt war zu kurz. Bei seiner Ankunft war Monk immer noch gegen Runcorn eingenommen, und vielleicht würde sich das nie ändern. Er zahlte und stieg die Stufen zum Revier hinauf. Drinnen wurde er auf der Stelle erkannt.
    »Guten Morgen Mr. Monk«, sagte der Sergeant am Empfangspult vorsichtig. »Was können wir für Sie tun?«
    Monk konnte sich nicht an diesen Mann erinnern, aber das hatte nichts zu bedeuten, außer dass er seit seinem Unfall vor fast acht Jahren nicht mit ihm zusammengearbeitet hatte. Kannte er Hester wirklich schon so lange? Warum hatte es Jahre gedauert, bis er den Mut und die Ehrlichkeit aufgebracht hatte, ihr seine Gefühle zu gestehen? Die Antwort war leicht. Er wollte niemandem die Macht geben, ihn zu verletzen. Aber indem er die Möglichkeit, verletzt zu werden, aussperrte, hatte er natürlich auch die Freude ausgesperrt.
    »Guten Morgen, Sergeant«, antwortete er. »Ich würde gerne mit Superintendent Runcorn sprechen. Es geht um einen Fall, mit dem er kürzlich befasst war.«
    »Jawohl, Sir.« Die Stimme des Sergeants verriet eine Spur Genugtuung darüber, dass in Monks Ton jede Autorität fehlte. »Und in wessen Namen wäre das, Sir?«
    Monk verkniff sich mühsam ein Lächeln. Der Mann hatte seinen Mantel nicht erkannt. »Im Namen der Wasserpolizei«, erklärte er und schlug das Revers seines Mantels zurück, sodass sein Dienstabzeichen zum Vorschein kam.
    Die Augen des Sergeants weiteten sich, und er stieß den Atem aus. »Jawohl, Sir!« Er schlug die Hacken zusammen und eilte die Stufen zu seinem Vorgesetzten hinauf.
    Fünf Minuten später stand Monk in Runcorns Büro. Es war mit einem großen Schreibtisch ausgestattet, und ein Kohleofen in der Ecke sorgte für angenehme Wärme. Gegenüber befand sich ein vollgestelltes Bücherregal, und in der Mitte stand ein Sockel mit einer aus Holz geschnitzten Bärenfigur darauf. Alles war wie immer tadellos aufgeräumt – ein Ausdruck von Runcorns Bedürfnis, sich anzupassen und zu beeindrucken.
    Runcorn selbst hatte sich wenig verändert. Er war ein hochgewachsener Mann mit tonnenförmiger Brust, großen Augen, die vielleicht ein wenig zu nahe beieinanderlagen, und einer langen Nase. Sein Haar war noch dicht, wenn auch überall grau gesprenkelt. Um die Taille herum hatte er ein paar Pfund zugenommen.
    »Es ist also wahr!«, rief er, sorgfältig auf eine ausdruckslose Stimme bedacht, und seine Augenbrauen wanderten nach oben. »Sie sind bei der Wasserpolizei! Ich habe zu Watkins gesagt, er müsse übergeschnappt sein, aber das ist er offensichtlich nicht.« Ein zufriedenes Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus, hatte er doch die Macht, Hilfe zu bewilligen oder zu verweigern. »Nun, was kann ich für Sie tun, Inspector? Es muss doch ›Inspector‹ heißen, richtig?« Hinter seinen Worten, der Betonung und dem Verziehen der Mundwinkel steckte eine vielschichtige Bedeutung. Sie hatten einmal, vor langer Zeit, denselben Rang bekleidet. Es war Monks Mundwerk gewesen, das ihn sein Amt gekostet hatte. Er war

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