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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ahnte schon die Antwort. Früher hatte er Runcorn oft überlistet, aber das war Jahre her. Seitdem hatten sie beide dazugelernt: Monk war nun sanfter im Umgang mit anderen und ehrlicher zu sich selbst; Runcon zog keine voreiligen Schlüsse mehr und konzentrierte sich eher auf seine Fälle als auf seine Eitelkeiten.
    »Was gäbe es in den Stallungen denn auch zu holen?«, erwiderte Runcorn. »Es sei denn, Sie wollen das alte Pferdegeschirr mitzählen. Aber der Stallknecht hat gesagt, dass nichts fehlte.«
    »Und der Kutscher hat das bestätigt?«
    »Anscheinend war einer der Diener zugleich auch Kutscher«, erwiderte Runcorn. »Er war recht geschickt. Und mit dem Butler und einem jüngeren Pagen, der auch als Laufbursche unterwegs war, war das Personal komplett.«
    »Und das Haus?«, drängte Monk. »War in der Nacht eingebrochen worden? Oder ließ sich das nicht beurteilen, weil Havilland die Tür offen gelassen hatte? War das so?«
    »Ja. Laut Butler war er lange wach geblieben. Sagte den Bediensteten, dass er in seinem Büro arbeiten wollte, und schickte sie ins Bett. Aber danach nahmen sowohl Miss Havilland als auch die Haushälterin eine gründliche Durchsuchung vor und bestätigten, dass alles an Ort und Stelle war. Und es gab dort haufenweise hübsche Stücke, alle leicht zu transportieren – wenn ein Einbrecher darauf aus gewesen wäre – und leicht zu verkaufen.«
    »Um welche Uhrzeit starb er?« Monk war immer noch nicht bereit aufzugeben, auch wenn es mehr und mehr so aussah, als wäre Mary Havillands Mordtheorie nichts als der Ausdruck der verzweifelten Weigerung einer jungen Frau gewesen, sich damit abzufinden, dass ihr Vater sich selbst getötet hatte.
    »Der Polizeiarzt schätzte den Zeitpunkt auf irgendwann zwischen Mitternacht und drei Uhr in der Früh. Mehr konnte er beim besten Willen nicht sagen. War ganz schön kalt in den Stallungen draußen. Spätherbst. Dreizehnter November, um es genau zu sagen. Der Frost war in dieser Nacht ziemlich streng. Ich erinnere mich, dass die Blätter in den Gärten überall mit Raureif bedeckt waren, als wir in der Früh zum Tatort rausfuhren.« Runcorn zog die Schultern unwillkürlich noch höher, als fröre er bei der bloßen Erinnerung.
    »Niemand hatte einen Schuss gehört?«
    »Nein.« Runcorn verzog den Mund zu einem kaum sichtbaren, düsteren Grinsen. »Was höchst ungewöhnlich war. Man sollte meinen, dass irgendjemand was gehört hätte. Ich hab’s selbst ausprobiert, und es gab einen ziemlichen Knall. In einer stillen Nacht wäre er auch in hundert Metern Entfernung unüberhörbar gewesen. Ich bin der Sache nachgegangen und habe die ganze Nachbarschaft befragt, aber wenn jemand was gehört hat, dann wollte er es einfach nicht zugeben.« Sein Gesicht verriet, dass er wirklich alles versucht hatte.
    Monk stellte verblüfft fest, dass Runcorn sich selbst wünschte, Mary Havilland hätte Recht gehabt, nur sah er nirgendwo eine Möglichkeit, das zu belegen.
    »Wurde der Schuss irgendwie gedämpft?«
    Ein fast unmerkliches Kopfschütteln war die Antwort. »Keine Spuren«, brummte Runcorn. »Dafür Brandwunden vom Pulver an der Haut. Wenn er ein Handtuch oder Stofffetzen um die Pistole gewickelt hätte, wäre damit erklärt, warum niemand was gehört oder den Knall als Schuss erkannt hat, aber dann wäre das Tuch dort liegen geblieben, was nicht der Fall war. Es sei denn … jemand hat es weggeschafft!« Letzteres klang nach einem Ausruf, doch seine Augen nahmen einen fragenden Ausdruck an.
    »Nichts, was auf irgendjemand anderen hinwies?«, fragte Monk, der sich an dieselbe Hoffnung klammerte.
    »Nichts, und ich habe genau nachgeforscht.«
    Monk glaubte ihm. Nicht nur, weil Runcorn das Lügen schon immer schwergefallen war, sondern auch, weil er ihm den schmerzlichen Wunsch ansah, von Havilland etwas Besseres anzunehmen, als es die Beweislage rechtfertigte. Selbst jetzt noch, zwei Monate danach, beschäftigte ihn der Fall.
    Erst jetzt stellte Monk die naheliegende Frage: »Warum? Welchen Grund könnte er gehabt haben, sich mitten in der Nacht in seinem Stall eine Kugel durch den Kopf zu jagen?«
    Runcorn presste die Lippen aufeinander. Seine Schultern wanderten noch höher. Fühlte er sich angegriffen? Wollte er sich verteidigen? »Auch das habe ich untersucht! Soweit ich das beurteilen konnte, war er bei bester Gesundheit. Er aß gut, schlief ausreichend, ging oft spazieren. Wir haben seine Geschäftsangelegenheiten unter die Lupe genommen. Er war finanziell

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