Das dunkle Labyrinth: Roman
Brief.
»Das ist die Mary, die ich kenne!«, bestätigte Rose schnell. Sie beugte sich erregt vor. »Sie war kein sentimentaler Mensch, Mrs. Monk. Sie dachte sehr praktisch und war durchaus bereit, sich eine Wahrheit einzugestehen, die sie nicht hören wollte, wenn es denn tatsächlich die Wahrheit war. Ich weiß nicht, wo ich ansetzen soll, aber wenn Sie irgendeine Idee haben, bitte lassen Sie uns gemeinsam etwas unternehmen, damit wir Mary ihre Unschuld zurückgeben können.«
»Unschuld...«
»Den Beweis führen, dass sie nicht Selbstmord begangen hat!«, stellte Rose klar, deren Augen auf einmal glänzten, als schwömmen sie in Tränen. »Und wenn das, was die Köchin gesagt hat, wahr ist, ist Mary auch nicht schuldig, Toby Argyll mit in den Tod genommen zu haben. Es ist schrecklich, wenn man einem Menschen solche Dinge zutraut, und ich lasse nicht zu, dass irgendwelche Fremde, die sie nicht kannten, das aufs Geratewohl von ihr behaupten, nur weil es dann leichter ist, so zu tun, als wäre es vorbei.«
Plötzlich fasste Hester wieder Mut. »Was sind die Alternativen?«, fragte sie. »Was ist geschehen? Was können wir nachweisen, das über jeden Zweifel erhaben ist?«
»O Gott!« Rose setzte sich kerzengerade auf. »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Wenn es kein Selbstmord war, dann war es entweder ein Unfall oder Mord. Was für eine unerträgliche Vorstellung!«
»Sie erscheint mir unausweichlich«, meinte Hester.
Die Tür ging auf, und Morgan Applegate kam herein. Als Erstes suchten seine Augen Rose, dann nahm er Hester wahr. Er war höflich und schien sich durchaus über das Wiedersehen zu freuen. Doch die Art und Weise, wie er die ganze Zeit neben Rose stehen blieb, hatte auch etwas Beschützendes, als befürchtete er, Hester könnte sie in Nöte stürzen. »Wie geht es Ihnen, Mrs. Monk?«, erkundigte er sich freundlich. »Haben sich so bald schon Fortschritte eingestellt?«
Rose wandte sich ihm zu. »Das kann man wohl sagen, Morgan«, antwortete sie an Hesters Stelle. »Wir haben uns mit unwiderlegbarer Logik den Tatsachen gestellt und müssen jetzt auf diesem Weg weitergehen. Mr. Monk will übrigens die Möglichkeit eines Unfalls nicht ausschließen, ich dagegen sehr wohl. Zwei solche Unfälle – das ist schlichtweg absurd. Entweder Mr. Havilland und Mary haben sich beide das Leben genommen, oder Toby Argyll hat versucht, sie zu töten, und ist dabei selbst in den Fluss gestürzt.«
»Rose …« Er versuchte mit sorgenvoller Miene, sie zu beschwichtigen.
»Ach, dieser Schluss ist unausweichlich!«, fiel sie ihm ins Wort und drehte sich wieder zu Hester um. »Damit stellt sich die Frage: Wenn es so war, hatte Toby dann auch James Havillands Tod zu verantworten?«
Mit freundlicher, doch fester Stimme meldete sich Applegate wieder zu Wort. »Wenn Toby Argyll eine solche Tat zu verantworten hatte, dann hat er dafür den höchst möglichen Preis gezahlt.«
Rose bedachte ihn mit einem geduldigen Blick. »Du verfehlst den entscheidenden Punkt, Morgan. Mir geht es doch nicht darum, jemanden bezahlen zu lassen! Ich möchte Mary von der Sünde des Selbstmords und der Schuld an Tobys Tod befreien, falls jemand glauben sollte, dass sie ihn absichtlich mit sich nahm. Und ich möchte auch ihren Vater rehabilitieren, was ja ihr allergrößtes Anliegen war.«
»Aber...«
»Und, was vielleicht noch wichtiger ist«, fuhr sie unbeirrt fort, »ich möchte beweisen, dass ihre Furcht vor einem schrecklichen Unglück berechtigt war, wir aber immer noch die Chance haben, es zu verhindern. Verstehst du nun, dass unsere Aufgabe alles andere als erfüllt ist? Das ist doch so, Mrs. Monk?« Sie richtete ihre Augen mit festem Blick auf Hester.
»Rose!«, rief Applegate erregt, »du bringst Mrs. Monk in eine unmögliche Situation! Bitte! Du darfst sie nicht in Verlegenheit stürzen...«
»Das ist mir wirklich nicht peinlich«, log Hester hastig. »Und selbst wenn es so wäre, würde es kaum etwas ausmachen! Wir sprechen über den Tod von Menschen und den möglichen Tod und die Verstümmelung dutzender, wenn nicht sogar hunderte von Männern, falls es tatsächlich zu einem größeren Einsturz oder einer Überflutung kommen sollte.«
»Siehst du«, sagte Rose bestimmt. »Wir müssen tun, was in unserer Macht steht, und fangen damit an, in Erfahrung zu bringen, was Mary herausgefunden hat.«
Applegate wandte sich mit einem hilfesuchenden Blick an Hester. »Sie scheinen sich auf logisches Denken zu verstehen, Mrs.
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