Das dunkle Labyrinth: Roman
verließ er das Haus durch den Dienstboteneingang und lief an den Holz-und Kohleschuppen vorbei in den eisigen Wind, der über die Straße fegte. Wer hatte Havilland etwas geschrieben, das ihn derart aus der Fassung brachte? War auf diese Weise das Treffen im Stall noch in derselben Nacht vereinbart worden, oder hatte es sich um etwas vollkommen anderes gehandelt? Fest stand nur, dass Havilland unmittelbar nach dem Erhalt des Briefes den Dienstboten für den Rest des Abends frei gegeben hatte. Und offenbar hatte er sich entschieden, gegen seine Gewohnheit noch nicht zu Bett zu gehen. Damit wäre erklärt, warum er sich im Stall aufhielt. Aber wen wollte er in einer Winternacht dort treffen und nicht in seinem Haus, wo es trocken und warm war, wenn auch vermutlich nicht so vertraulich?
Warum überhaupt dieses Bedürfnis nach Vertraulichkeit? Konnte man in seinem Büro nicht völlig ungestört sein, wenn die Bediensteten und wahrscheinlich auch Mary schliefen? Hatte er seine Pistole mitgenommen, um sich zu schützen? Hatte er mit einem Überfall gerechnet? Warum? Von wem? Vielleicht hatte Mary Havilland Recht gehabt. Wenn ja, dann war sie mit Sicherheit ebenfalls vorsätzlich getötet worden. Und als Täter kam nur Toby Argyll infrage.
Jetzt konnte Monk auf keinen Fall mehr die Möglichkeit ausschließen, dass Havilland in den Tunneln auf eine echte Gefahr gestoßen und gewaltsam zum Schweigen gebracht worden war, bevor er an die Öffentlichkeit gehen und jemandem das Geschäft verderben konnte.
Der Besucher musste ihm die Pistole abgenommen und ihn damit erschossen haben. Ein jüngerer und stärkerer Mann, der skrupellos genug war und zudem das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte? Havilland hatte Angst, aber er war gekommen, um zu reden. Der andere Mann hatte von vornherein den Vorsatz gehabt zu töten.
Alan Argyll?
Und war es das, was Mary erfahren hatte, und weswegen Toby Argyll auch sie getötet hatte?
Monk lief in geduckter Haltung gegen den Wind. Die Eiskörner stachen ihn ins Gesicht, und er beschleunigte seine Schritte.
5
Als Monk am Abend nach Hause kam, sah ihm Hester auf den ersten Blick an, dass er aufgewühlt war. Und weil er nach der Flussüberfahrt vor Kälte zitterte, war er zunächst darauf konzentriert, Hände und Füße zu wärmen, ehe er etwas herausbrachte, das über einen Gruß hinausging. Hester brachte ihm sofort eine Schüssel Suppe. Dankbar schlürfte er sie und hörte langsam auf zu zittern.
Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es nicht klüger gewesen wäre, in ein Haus am Nordufer der Themse zu ziehen, obwohl ihnen die Umgebung dort weniger gefiel.
Hester selbst war heute mit einem Omnibus zur Portpool Lane gelangt und hatte die Themse auf einer Brücke überquert. Aber weil sie direkt gegenüber Wapping lebten, war es natürlich viel sinnvoller, wenn Monk die Fähre nahm, mit der er das Revier binnen fünfzehn Minuten erreichen konnte. Und manchmal holte ihn sogar das Patrouillenboot am Kai ab.
Doch es war fürchterlich kalt, und wenn wie heute auch noch Graupelschauer dazukamen, wünschte Hester sich von Herzen, er müsste nicht so viel über das offene Wasser fahren.
Als sie ihm nun gegenübersaß und der rote Widerschein des Feuers in seinem Gesicht flackerte, während er die Suppenschale in beiden Händen hielt, beschlichen sie ernsthafte Zweifel, ob seine Rückkehr in den regulären Polizeidienst wirklich eine so gute Idee gewesen war. Sie hatte ihm ja angeboten, sie könne sich um eine Anstellung in einem der großen Krankenhäuser bewerben, obwohl die Versorgung dort wenig mit echter Pflege zu tun hatte, sie sich zu einer Dienstbotin degradiert gefühlt hätte und Bedingungen herrschten, die sich keine Hausbedienstete hätte bieten lassen.
Vor ihrer Hochzeit hatte sie das schon einmal versucht. Nach ihren Erfahrungen auf der Krim war sie damals mit Feuereifer darangegangen, die Arbeitsabläufe in der Krankenhauspflege zu reformieren. Sie war auf der ganzen Linie gescheitert und hätte sich fast noch einen Prozess wegen Unbotmäßigkeit und Schlimmerem eingehandelt. Trotz allem hätte sie aber ihren Stolz hinuntergeschluckt und sich noch einmal beworben, wenn es denn geholfen hätte. Doch Monk hatte sich kategorisch geweigert, ihr das zu erlauben.
Wenigstens entspannte er sich jetzt nach und nach, was sie freilich nicht daran hinderte, sich besorgt zu fragen, ob es auch ihm schwerer fiel als erwartet, Vorgesetzten zu gehorchen. Außerdem war sie sich gar
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