Das dunkle Labyrinth: Roman
hatte.
Margaret sah sie aufgeschreckt an. Zum ersten Mal spürte sie, dass etwas zwischen ihnen in der Luft hing, etwas Ungesagtes, das wehtat. »Was ist mit Ihnen, Hester?«, fragte sie so sanft, dass es Hester die Tränen in die Augen trieb.
Wie offen konnte sie sagen, dass es nicht ihre Entscheidung war, sondern dass Monk sie erzwungen hatte? »Ich habe eingewilligt, eine Zeit lang zu Hause zu bleiben«, begann sie. »Williams neue Stelle ist … anders.« Sie schluckte schwer. »Sie kommen jetzt ja gut zurecht. Claudine ist großartig und Bessie nicht minder. Ich könnte nie so viel Geld sammeln wie Sie.«
Das Erschrecken stand Margaret ins Gesicht geschrieben. »Eine Zeit lang? Was heißt eine Zeit lang?« Sie biss sich auf die Lippe. »Sie meinen für immer, nicht wahr?«
»Ich glaube, ja.«
Margaret machte einen Schritt nach vorn und drückte sie fest an sich. Sie sagte kein Wort. Sie schien verstanden zu haben. Vielleicht hatte es genügt, dass sie Monk im vergangenen Herbst persönlich kennen gelernt hatte.
Von Bessie und den anderen Frauen, vor allem von Claudine, hätte sich Hester am liebsten gar nicht verabschiedet, aber das wäre feige gewesen. Sie versprach ihnen, sie gelegentlich zu besuchen, und sie würde ihr Wort halten. Dagegen konnte Monk nichts einzuwenden haben.
Als sie wieder in den kalten, windigen Morgen trat, fühlte sie sich nicht mehr so zuversichtlich und leichtfüßig wie bei ihrer Ankunft. Doch das war dumm und sinnlos, schalt sie sich.
Im Haus der Applegates traf sie etwas früher ein, als es sich für Besuche schickte, insbesondere dann, wenn man sich kaum kannte. Doch sie brauchte nur wenige Minuten im Morgenzimmer zu warten, bis Rose Applegate hereingerauscht kam. Sie war besonders elegant gekleidet, als erwartete sie noch hohen Besuch. Hester verlor den Mut. Vielleicht war Roses Begeisterung gestern eher dem Wunsch, freundlich zu sein, entsprungen und nicht einem echten Bedürfnis, sich zu engagieren. Wenn ja, dann war bei Hester einfach der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Nun, jedenfalls war Roses Kleid mit den prächtigen Spitzen um den hochgeschlossenen Kragen und den winzigen Samtschleifen am Rock modisch der letzte Schrei. Im Vergleich dazu war Hester geradezu schäbig gekleidet. Die gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen wurde ihr nur allzu schmerzhaft bewusst, ja, in diesem Moment kam sie ihr wie ein unüberbrückbarer Abgrund vor.
»Guten Morgen, Mrs. Monk«, begrüßte Rose sie mit einem freudigen Strahlen. »Hat sich was Neues ergeben? Etwas, was wir tun können?« Ein erschrockener Ausdruck verdrängte für einen Moment das Lächeln. »Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit! Wie geht es Ihnen denn?«
Es war nicht üblich, jemandem zu dieser frühen Stunde Erfrischungen anzubieten, und Hester hatte das Gefühl, dass Rose die Etikette in allem genau befolgte. Das Zimmer war konventionell eingerichtet, und sie war von einem Dienstmädchen mit makellos gestärkter Haube und Schürze hereingelassen worden. Die Empfangshalle war bereits gekehrt und blitzblank geputzt. Neben dem Duft von feuchten Teeblättern, die man ausgestreut hatte, damit sie den Staub aufsogen, hatte Hester auch Lavendel und Bienenwachs gerochen, mit dem man das Holz zum Glänzen brachte.
»Guten Morgen, Mrs. Applegate«, antwortete sie. »Nein, leider gibt es im Moment noch wenig Neues zu melden.« Sie hatte nichts zu verlieren, wenn sie die Wahrheit sagte. Wahrscheinlich war ohnehin schon alles verloren! »Mein Mann hat ein bisschen mehr über Mr. Havillands Ängste in Erfahrung gebracht, aber falls Mr. Havilland etwas Bestimmtes herausgefunden hat, wissen wir nicht, was das war. Laut Mr. Sixsmith, der für den Bau der Tunnel vor Ort verantwortlich ist, war bei ihm die Angst vor geschlossenen Räumen zur Obsession ausgeartet, und er war am Ende in dieser Hinsicht richtig irrational geworden. Mr. Sixsmith meinte, dass ihn das schließlich um den Verstand gebracht und seinen Tod herbeigeführt hat.«
Rose war sichtlich betroffen. »Gott im Himmel!« Sie ließ sich abrupt auf einen Stuhl sinken, ohne darauf zu achten, dass sie ihren Rock zerknitterte, und forderte Hester mit einer Geste auf, sich ebenfalls zu setzen. »Das klingt ja so fürchterlich vernünftig, nicht wahr? Aber es stimmt einfach nicht!«
Hester berichtete ihr, was Monk ihr gestern Abend erzählt hatte – oder zumindest gab sie wieder, was die Köchin über Mary gesagt hatte, äußerte sich aber noch nicht über den
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