Das dunkle Lied des Todes
Grund ist sie davon gerührt. So viel Jugend, so viel Zuversicht. Sie haben sich gefreut, natürlich haben sie sich gefreut. Auch wenn sie streiten und spotten und pöbeln, so haben sie sich doch gefreut.
Sie stürzen in die Halle und lassen Rucksäcke und Taschen fallen. Johan und Filip stürmen die Treppe hoch und wieder herunter. Alles muss ausprobiert, durchsucht, gemustert und kommentiert werden. Das Haus ist ein Spielzeug, ein neues Computerspiel, eine Herausforderung und eine Aufforderung, auf Entdeckungsreise zu gehen. Man ärgert sich und ist sauer, teilt seine Meinungmit und stürzt weiter ins nächste Zimmer, wo das Ritual und die niederschmetternde Kritik wiederholt werden.
Energie. Elektrizität. Fleisch und Blut. Lärm, Bewegung, Gelächter und alberne Witze. Das Haus reagiert, lässt das Licht herein, die Bodenbretter geben nach, geben sich geschlagen, antworten mit dem Echo von Stiefeltrampeln, Tumult und Lachen.
Tineke kreischt, Vibe lacht und Betty legt die Arme um die kleine Vanessa und wiegt sie hin und her, während Julius ein Bounty auspackt und mit nachdenklichem Gesicht den Schokoriegel in sich hineinstopft: »Aloha in Hawaii.«
Eva dreht sich um ihre eigene Achse und lächelt. Es sind ihre Kinder und sie liebt sie.
Ein Augenblick der Ruhe. Eine Sekunde im Herzen des Hurrikans. Alle haben sich in der Halle versammelt.
Sie klatscht in die Hände.
»Willkommen«, sagt sie, »herzlich willkommen in Pemba.«
Der Rest war Chaos.
Aber es wäre natürlich vorauszusehen gewesen, dass man ihnen die Zimmerverteilung nicht überlassen hätte dürfen. Denn nicht zwei Zimmer waren gleich. Sie unterschieden sich in Möbeln, Betten, Platz und Licht. Drei waren besonders gut, die nämlich, die aufs Meer blickten. Das eine hatte Eva genommen, das andere wollte Bromsen. Wer das dritte bekommen sollte, hatten siedem Zufall überlassen wollen. Aber es war klar, dass das nicht gut gehen konnte.
Und so fing es an:
»Das lasse ich mir nicht gefallen, Eva. Das ist nicht euer Ernst, das ist unprofessionell und unfair.« Sagte Franz.
»Wir sollen in einem einzigen Bett schlafen? Hast du dir mal die Matratze angesehen, die ist voller Ohrenkneifer.« Sagte Tineke.
»Das Wasser schmeckt nach toten Tieren.« JB.
»Ich glaube, der Wind kommt von Osten.« Thomas.
»Hast du gewusst, dass meine Geige keine Feuchtigkeit verträgt?« Vanessa.
Danach brach ein stundenlanger Bürgerkrieg aus, der damit endete, dass die Lehrer sich durchsetzten.
Franz, Gustav, JB und die Zwillinge bekamen das große Zimmer mit den Etagenbetten.
Tineke und Vibe bekamen die kleine Kammer mit der rosa Tapete.
Anders und Thomas zogen in das Zimmer, das aufs Meer blickte, und Betty und Vanessa richteten sich in der blauen Kammer ein, die unter dem Giebel auf der Ostseite des Hauses lag.
Eva fand Bromsen in der Küche, wo er den Kühlschrank mit Lebensmitteln füllte.
»Na, was meinst du?«, fragte sie.
»Wozu?«
»Zu dem Haus.«
»Das Haus ist so, wie ich es erwartet hatte.«
»Also, ich muss schon sagen. Wie du es erwartet hattest. Dich kann ja wirklich nicht viel überraschen. Wie war die Fahrt?«
Er lachte.
»Ach, sie sind laut, widersprechen ständig und hören sich an wie elf verwöhnte Gören, die immer austesten, wer das Sagen hat. Ich muss ja sagen, wie du sie beschrieben hast, das trifft wirklich zu, die ganze Zeit wird man auf die Probe gestellt, gewogen und gemessen, und irgendwann geht einem auf, dass man keine Ahnung hat von Barockmusik, der Zwölftonleiter und Haydns Onkel, ganz zu schweigen vom höchsten Ergebnis beim Schach, nämlich 2.851, was, Thomas zufolge, Kasparow erreicht hat. Doch, man ist ein wenig atemlos, aber ansonsten ging alles gut. Ich glaube, ich kann das ganze Gesangbuch auswendig. Sie singen ja beängstigend schön. Oder sogar mehr als das. Plötzlich standen diese Drecksgören im Café auf der Fähre und lieferten die Reggae-Fassung von ›Im Osten geht die Sonne auf‹.«
»Was haben die Leute gesagt?«
»Die haben geklatscht. Was hätten sie denn sonst tun sollen? Es klang doch fantastisch.«
»Und wie haben die Drecksgören reagiert?«
»Die haben sich verbeugt und sich aufgeführt wie selbstgerechte Teenager, die genau wissen, wie gut siesind. Ist dir überhaupt klar, wie viel Blumendorph auf so einer Überfahrt zu sich nehmen kann?«
Bromsen verstummte.
»Wonach riecht es denn hier?«
Eva lächelte.
»Hier riecht es nach Weihnachten. Wenn ich nicht alles hier so toll
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