Das Dunkle Muster
alias Frisco-Kid, steht gerade an der Ruderpinne. Sein rotbraunes Haar glänzt in der Sonne und weht im Wind. Er sieht zwar aus wie eine Mischung aus einem Polynesier und einem Iren, ist aber keines davon, sondern Amerikaner englischer und walisischer Abstammung und wurde 1876 in Oakland/Kalifornien geboren. Er hat mir zwar kein Wort davon erzählt, aber ich weiß es, weil ich weiß, wer er wirklich ist. Ich habe einfach zu viele Bilder von ihm gesehen, um ihn nicht zu erkennen. Leider kann ich dir nicht seinen wahren Namen verraten, weil er offenbar gute Gründe hat, unter einem Decknamen zu reisen. (Sein Vor- und sein Nachname stammen übrigens von zwei fiktiven Charakteren, die er selbst erfunden hat.) Ja, er war ein bekannter Schriftsteller. Vielleicht wirst du es sogar schaffen, herauszufinden, wer er einst war, obwohl ich das bezweifle. Du hast mir einmal erzählt, daß du eines seiner Bücher gelesen hättest – es war Fischpiraten – und es lausig fandest. Es hat mich ziemlich verärgert, daß du dich daraufhin geweigert hast, seine Hauptwerke zu lesen. Einige davon sind wirklich Klassiker!
Farrington, sein Erster Offizier Tom Rider – genannt Tex – und ein Araber namens Nur sind die einzigen von der Originalbesatzung, die übriggeblieben sind. Die anderen sind aus allen möglichen Gründen von uns gegangen: Tod, Krankheit, Unverträglichkeit etc. Tex und Kid sind die einzigen Leute, die ich bisher auf dem Fluß getroffen habe, die zur wirklichen Prominenz auf der Erde zählten. Ziemlich nahe bin ich allerdings auch Georg Simon Ohm (von »Ohm« hast du sicherlich schon mal was gehört) und James Nasmyth, dem Erfinder des Dampfhammers, gekommen.
Aber glaub mir: Rider und Farrington stehen auf der Liste der zwanzig Leute, die ich schon immer gerne mal kennen lernen wollte, ganz oben. Meine Liste ist natürlich etwas eigentümlich, aber sicher nicht mehr als ich.
Der wirkliche Name unseres Ersten Offiziers lautet natürlich auch nicht Rider. Er hat ein Gesicht, das man einfach nicht vergessen kann, auch wenn es jetzt – ohne den weißen Zehn-Gallonen-Hut, den er üblicherweise trug, ein wenig anders wirkt. Er war während meiner Kindheit ein großer Filmheld, und ich liebte ihn ebenso wie einige andere, die vorzugsweise in Büchern vorkamen: Tarzan, John Carter vom Mars, Sherlock Holmes, Dorothy von Oz und Odysseus. Von den insgesamt 260 Westernfilmen, die er gemacht hat, habe ich mindestens vierzig gesehen. Meistens liefen sie zwei- oder dreimal in den zweitklassigen Schuppen wie dem Princess, dem Columbia oder dem Apollo in Peoria. (Keins von den Kinos existiert heute mehr; sie wurden schon abgerissen, bevor ich fünfzig wurde.) Seine Filme verschafften mir wirklich manch goldene Stunde. Komisch, daß ich mich an keinen dieser Streifen völlig erinnern kann, in der Erinnerung verschmelzen sie zu Hunderten von Szenen, zu einer einzigen Montage, in der die gigantische Gestalt Riders den glänzenden Mittelpunkt darstellt.
Als ich zweiundfünfzig wurde, interessierte ich mich auf einmal für das Schreiben von Biografien. Du weißt sicher, daß ich viele Jahre plante, die Lebensgeschichte von Sir Richard Francis Burton, dem bekannten und berüchtigten Forschungsreisenden des neunzehnten Jahrhunderts, zu verfassen, der nebenbei auch noch Schriftsteller, Übersetzer, Schwertkämpfer, Anthropologe und so weiter war.
Leider hielt mich die Brotarbeit stets davon ab, endlich mit Ein harter Bursche im Dienste der Königin (so der geplante Titel) zu beginnen; und als ich endlich mal über genügend Zeit verfügte, mich an die Arbeit zu machen, kam Byron Farwell mit seiner Burten-Biografie auf den Markt. Sie war gut gemacht, und ich entschloß mich, ein paar Jahre ins Land ziehen zu lassen, bis der Markt ein weiteres Werk dieser Art vertragen könnte. Und gerade als ich wieder anfangen wollte, kam Fawn Brodie mit seiner Burton-Biografie heraus, die möglicherweise die beste bisher erschienene ist. Ich beschloß also, das Projekt erst einmal für zehn Jahre aufzuschieben und mich in der Zwischenzeit an eine Biografie meines bevorzugten Kindheitsfilmhelden heranzumachen. (Ich hatte übrigens zwei; der andere war Douglas Fairbanks senior.) Ich konnte nicht umhin, eine Menge Artikel über ihn in alten Film- und Western-Magazinen und Tageszeitungen nachzulesen, und dabei stellte sich heraus, daß sein wirkliches Leben das jener Gestalten, die er in seinen Filmen spielte, noch bei weitem an Farbigkeit übertraf.
Aber
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