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Das dunkle Netz der Lügen

Das dunkle Netz der Lügen

Titel: Das dunkle Netz der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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gibt ein schönes warmes Umschlagtuch.» Und dann legte sie eine kleine Winterbluse aus festem, warmem Wollstoff dazu – Konfektionsware, die sie im Stoffladen verkaufte. «Damit nicht immer gleich alle denken, Sie wären   … na, Sie wissen schon.» Die Bluse war hochgeschlossen. «Hier ist ein kleiner Riss, den Sie sicher leicht flicken können.»
    Zita traten die Tränen in die Augen. Es war lange her, dass jemand so gut zu ihr war. «Vielen Dank, Frau Borghoff, vielen Dank!»
    «Gern geschehen. Wenn Sie mit allem fertig sind, können Sie aufs Rathaus zu meinem Mann gehen. Vielleicht hat er dann Ihren Freund schon gefunden.»
     
    Mit Bedauern hatte Zita das gastliche Haus der Borghoffs verlassen. Den Rest des Morgens hatte sie noch in der Nähwerkstatt mit den anderen Frauen verbracht, sorgfältig das schwere Wolltuch gesäumt und die Bluse geflickt. Jetzt trug sie sie über der alten weißen Bluse und hatte den neuen Schal umgelegt. Es war immer noch sehr kalt draußen, aber zum ersten Mal, seit sie ihre Reise angetreten hatte, fror sie nicht mehr – zumindest auf dem kurzen Weg von der Harmoniestraße zum Rathaus.
    Als sie den Dienstraum betrat, stieß sie auf Inspektor Ebel.
    «Ah, ich habe mich schon gefragt, wo du geblieben bist   …»
    «Frau Fredowsky hat in meinem Haus übernachtet, Ebel – zwangsläufig, weil Sie die Frau so lange festgehalten haben, dass kein Nachtquartier mehr zu finden war.» Der Commissar war hinter seinem Schreibtisch hervorgekommen und bedeutete Zita, sich auf einen der Stühle davor zu setzen.
    «Sie war doch gut aufgehoben im Gewahrsam», protestierte Ebel leise. Seit man ihn zum Inspektor befördert hatte, war er Kritik noch weniger zugänglich als zuvor. Aber inzwischen konnte er Borghoff gegenüber nicht mehr die Karte des Ruhrort-Erfahrenen ausspielen. Nach fast sieben Jahren kannte der Polizeichef nicht nur jeden Winkel der Stadt, sondern auch die ehrbaren Bürger und das Altstadtgesindel mindestens ebenso gut wie sein am Ort geborener Inspektor. Bis heute konnte Ebel sich nicht erklären, warum der Bürgermeister und die Honoratioren so große Stücke auf einen Mann hielten, der in seinen Augen viel zu lasch mit Lumpenpack, Schiffern und Arbeitern umging. So wie jetzt mit dieser Zigeunerdirne. Ein Polizeidiener hatte heute Morgen sogar mehrere Stunden lang die Registrierungslisten durchsehen müssen nach einem Mann, den diese Frau wahrscheinlich erfunden hatte.
    Robert Borghoff kümmerte sich nicht weiter um den verstimmten Ebel, setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und zog ein Blatt hervor. «Hermann Demuth, Hüttenarbeiter», las er vor.
    «Hüttenarbeiter?», fragte Zita erstaunt. Sie erinnerte sich an Hermanns gepflegte Hände, mit denen er in Wien seine Patienten versorgt hatte. Aus Erzählungen wusste sie, wie hart die Arbeit in den Hütten war.
    «Nun, so steht es hier. Die Adresse ist Milchstraße 3, allerdings ist der Eintrag schon zwei Jahre alt, vielleicht wohnt er schon nicht mehr dort. Aber vielleicht haben Sie auch Glück.»
    Ein wenig Glück habe ich nach den letzten Monaten wirklichverdient, dachte Zita und bedankte sich herzlich für alles, was der Commissar für sie getan hatte. Dann bat sie ihn darum, ihr den Weg zu erklären, doch stattdessen wurde dem Polizeidiener, der ohnehin Streifendienst in der Altstadt hatte, aufgetragen, sie hinzubringen.
    Als sie aus der Neustadt mit ihren geraden Straßen und gepflegten kleinen Häusern in die Altstadt kamen, war sie Borghoff sehr dankbar, dass er ihr diese Begleitung mitgegeben hatte. Nie und nimmer hätte sie sich in diesem Labyrinth von Gassen und Gässchen zurechtgefunden, durch die kein größerer Karren geschweige denn eine Kutsche passte.
    Uralte Fachwerkhäuser wuchsen über manchen Gassen so zusammen, dass kaum noch ein Lichtstrahl hineinfiel. Und überall wimmelte es von Menschen. Schiffer- und Arbeiterfrauen machten Besorgungen, die kleineren Kinder auf dem Arm. Zwischendrin sah man auch das eine oder andere Hausmädchen wohlhabender Herrschaften. Bereits um diese Uhrzeit herrschte reger Betrieb in den zahllosen kleinen Kneipen und Gasthäusern. Auf dem einzigen größeren Platz standen junge Männer in Gruppen herum und schwatzten, meist Schiffer, die ein paar Tage Zeit hatten, bis sie ihre nächste Fracht oder einen Platz im Schleppverband bekamen, und es sich jetzt gutgehen ließen.
    Und Huren gab es hier – viele Huren. Sie erkannten einander, Zita und die Huren. Viele abschätzende

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