Das dunkle Netz der Lügen
eine Möglichkeit, für Sie zu arbeiten? Vielleicht nur für ein paar Wochen … oder Tage?»
Lina schüttelte bedauernd den Kopf. «Anfang letzten Jahres habe ich noch sechs Näherinnen beschäftigt. Ich musste zwei von ihnen schweren Herzens entlassen, weil ich nicht mehr so viele Aufträge bekam. Glauben Sie mir, ich würde sehr gern eine so gute Näherin wie Sie einstellen, aber im Momentverdiene ich selbst kaum genug, um die verbliebenen vier zu bezahlen.» Sie tätschelte Zita bedauernd die Hand. «Aber die Zeiten werden bestimmt bald besser. Sollten Sie noch in Ruhrort sein, wenn ich wieder jemand einstellen kann, werde ich sicher an Sie denken.»
«Wenn Ihr Mann den Freund nicht findet, wegen dem ich hergekommen bin, muss ich verschwinden. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.»
«Nun schlafen Sie sich erst einmal richtig aus. Und morgen bekommen Sie noch ein gutes Frühstück. Vielleicht ist dieser Freund ja wirklich hier, und Sie können erst einmal bleiben», sagte Robert Borghoff, der still am Tisch gesessen hatte und jetzt aufstand. «Kommen Sie, ich bringe Sie hinauf, Antonie müsste oben fertig sein.»
Antonie kam ihnen auf der Treppe zum Dachgeschoss entgegen. «Alles erledigt, Herr Commissar», sagte sie. Und dann nickte sie Zita freundlich zu. «Es ist leider recht kalt da oben, deshalb habe ich noch eine warme Decke geholt. Schlafen Sie gut, junge Dame.»
«Danke, vielen Dank.»
Der Commissar brachte sie bis vor die Tür der kargen Dachkammer, eigentlich mehr ein Verschlag, der nach oben zu den Dachbalken offen war. Doch eine Kerze verbreitete warmes Licht, und auf einem Stuhl stand eine Schüssel und ein Krug, aus dem warmes Wasser dampfte, daneben ein einfaches Stück Seife. Das Bett hatte zwar nur eine Strohschütte, doch ein weiches Kissen und weiße Laken mit zwei dicken Decken versprachen eine gute Nachtruhe. Darauf lag sogar ein grobes Leinennachthemd.
Zita verabschiedete sich vom Commissar und ließ ihr Bündel auf den Boden fallen. Schnell zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus, wusch sich mit dem warmen Wasser und schlüpftedann unter die Decken. Seit Bonn, wo sie für ein paar Tage in einer Gaststube arbeiten und schlafen konnte, hatte sie nicht mehr so gut gelegen. Lina Borghoffs freundliches Gesicht kam ihr wieder in den Sinn. Und wie unmöglich es sein konnte, dass diese Züge auch noch einer anderen Person gehören könnten. Einer widerlichen, intriganten und bösartigen Person, der sie nie wieder begegnen wollte.
2. K apitel
Als Zita am anderen Morgen aufwachte, stellte sie erschreckt fest, dass es schon heller Tag war. Schnell zog sie sich an und lief die Treppe hinunter. Im ersten Stock war ein heftiger Streit im Gange, ein oder zwei Kinder weinten. Das waren wohl die beiden jüngeren Hausangestellten. «Was hast du mit dem Geld aus dem Milchtopf gemacht?», schrie die junge Frau. «Das war meines so gut wie deines. Ich hatte es gespart, die Kinder brauchen neue Schuhe nächsten Winter.»
«Ich schufte hier den ganzen Tag. Willst du mir verbieten, ins Wirtshaus zu gehen?», brüllte der Mann zurück. «Bild dir nicht ein, du könntest so mit mir umspringen, nur weil Herr Borghoff seiner Frau alles durchgehen lässt. Was ich mit meinem Geld tue, ist ganz allein meine Angelegenheit!»
Die arme Kleine, dachte Zita. Die Männer waren doch alle gleich. Selbst ihr Tomasz hatte ein Vermögen durchgebracht mit Saufen und Spielen. Trotzdem hatte sie ihn geliebt.
Sie fand die Küche wieder. Das Haus summte bereits vor Geschäftigkeit. Antonie werkelte genauso mürrisch wie gestern in der Küche herum. «Da ist Hafergrütze», sagte sie und deutete auf den Herd. «Nicht zu tief im Topf kratzen, sie ist etwas angebrannt. Frau Borghoff hat gesagt, Sie sollen sich Honig dazu nehmen. Und es ist auch noch etwas Kaffee da.»
Im Gegensatz zur Grütze schmeckte der Kaffee gut, selbst nach Wiener Maßstäben. Während Zita schweigend dieHafergrütze aß, kam plötzlich Lina Borghoff herein. «Ausgeschlafen?», fragte sie fröhlich.
Zita wurde rot. «Entschuldigen Sie …»
«Nein, nicht doch», sagte Lina. «Sie haben sicher lange nicht mehr ausschlafen können. Sie sind doch unser Gast. Schauen Sie mal.» Sie zog ein Stück grauen, sehr dicken Wollstoff hervor. «Besonders schön ist er nicht, aber sehr warm. Und da der Frühling in diesem Jahr einfach nicht kommen will, dachte ich, Sie könnten ihn gebrauchen. Sie können ihn nachher in der Werkstatt säumen, das
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