Das dunkle Netz der Lügen
von Linas Schwester Guste, geheiratet. Die junge Frau hatte sich in Eberhard verliebt und bereitwillig ihrem kapriziösen Leben in Berlin entsagt. Und sie schien sich sehr wohl zu fühlen in der kleinen, feinen Gesellschaft der Ruhrorter Reichen, die nach außen hin protestantisch karg und bescheiden lebte, nach innen aber gern zeigte, was sie hatte.
Auf den heutigen Besuch war Lina sehr gespannt. Zum einen wusste sie von ihrer Schwester Guste, dass Beatrice guter Hoffnung war und deshalb neue Kleider brauchte, zum anderen wurde sie von der neuen Ehefrau des Barons begleitet. Cornelius von Sannberg hatte in den letzten Jahren ausgedehnte Reisen unternommen und war nur selten auf seinem Gut in der Grafschaft Moers oder in seinem kleinen Ruhrorter Stadthaus gewesen. Lina ahnte dunkel, dass dies mit ihrer und Roberts Heirat zusammenhing. Der Baron hatte eine unverhohlene Schwäche für sie gezeigt, aber dann war ihr Robert gekommen, und sie hatte sich für den kleinen Polizisten undgegen den reichen Baron entschieden. Cornelius mochte sie – und auch Robert – zu gern, als dass er ihnen die Freundschaft aufgekündigt hätte, aber das fremde Glück ständig vor Augen zu haben war ihm wohl zu viel gewesen. Doch Lina war sich sicher, früher oder später hätte es den weltgewandten Cornelius von Sannberg auch ohne diesen Vorfall in die Fremde getrieben.
Vor etwas mehr als einem Jahr hatten sie schließlich eine Verlobungsanzeige in der Post gefunden. «Cornelius von Sannberg und Elise von Steinhaus geben ihre Verlobung bekannt», hatte es darin geheißen. Zu Beatrices und Eberhards Hochzeit, die auf dem Gut in Moers gefeiert wurde, hatte die neue Dame seines Herzens ihn aber nicht begleitet, sondern war in der Villa in Italien geblieben. Umso gespannter war Lina jetzt auf die neue Frau von Sannberg.
Eine halbe Stunde später als erwartet trafen die beiden Damen im Salon ein. Beatrice umarmte Lina herzlich. Sie hatte ihren Mann auf eine längere Geschäftsreise begleitet und war in diesen sechs Wochen sichtlich runder geworden. Ein wenig spannte sich bereits das Oberteil ihres Kleides am Übergang zum Rock.
Die Frau neben ihr musterte Lina und den Salon mit einem gelangweilten Blick. «Darf ich dir vorstellen, Tante Lina: Elise von Sannberg, meine Stiefmutter.»
In Elises Gesicht zuckte es kurz. Ihre Stieftochter Beatrice war nur wenige Jahre jünger als sie, aber ihr schien es offensichtlich Spaß zu machen, sie so vorzustellen.
«Elise, das ist Lina Borghoff, Eberhards Tante und die beste Kleidermacherin, die ich kenne. Selbst in Berlin gibt es keine bessere», fuhr Beatrice mit der Vorstellung fort.
«Nun, für jemanden, der offensichtlich in Paris schneidern lässt, ist das vielleicht nichts Besonderes, liebe Beatrice», sagte Lina in gewohnt sarkastischem Ton.
«Ach, das ist doch vom letzten Jahr.» Elises Stimme war hoch und kindlich. «Ich konnte Cornelius noch nicht überreden, mit mir wieder hinzufahren. Er sagte, ich solle zu Ihnen gehen und bekäme alles, was ich mir wünsche.» Es war ihr anzusehen, dass sie nicht der Meinung war, dass eine Provinzkleidermacherin ihren Ansprüchen genügen könnte.
Lina führte die beiden in den Salon, wo Antonie gerade den Kaffee servierte. «Liebe Elise, hier finden Sie die neuesten Modezeitschriften aus Paris. Schauen Sie sie doch einfach durch und suchen Sie sich etwas aus, während Beatrice und ich uns nebenan um Ihre Kleider für die nächsten Monate kümmern.»
Sie spürte genau, wie Elise ihrem Hinken nachsah, als sie mit Beatrice ins Ankleidezimmer ging, und Lina wusste bereits, dass sie diese hochnäsige Person nicht ausstehen konnte.
Während sie Maß nahm, erklärte Lina Beatrice, wie ihre Garderobe in den nächsten Monaten aussehen würde. Zunächst würde sie noch Kleider tragen können, die auf Taille geschnitten waren, allerdings musste sie auf starkes Schnüren des Mieders verzichten. Zudem würde Lina alles weiter als üblich schneiden und noch etwas Stoff zugeben, um nachträgliche Änderungen vornehmen zu können. Für den Sommer, wenn der Bauch schon gut sichtbar war, empfahl sie Beatrice, hauptsächlich zweiteilige Kleider zu tragen. Die Rocktaille konnte so unter der Brust ansetzen, die Bluse locker darüberfallen.
«Ihr freut euch sicher sehr», sagte sie.
Beatrice nickte heftig. «Eberhard ist so lieb mit Kindern. Guste hat mir erzählt, dass er sich mit seinen kleinen Schwestern immer gut verstanden hat. Er wünscht sich viele
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