Das dunkle Netz der Lügen
Kinder!»
Obwohl Lina sich aufrichtig für Beatrice freute, verspürte sie doch einen kleinen Stich. Sie hatte zwar erst spät mit Mitte dreißig geheiratet, aber Robert und sie hatten sich durchaus Kinder gewünscht. Und es war ja auch noch nicht zu spätdafür. In den ersten beiden Jahren hatte Lina sogar mehrmals gedacht, sie wäre schwanger, doch das hatte sich als falsch herausgestellt. Einmal war sie sich sicher, eine frühe Fehlgeburt erlitten zu haben, als die ausgebliebenen Monatsblutungen nach drei Monaten mit großer Stärke und unter Schmerzen wieder einsetzten. Seitdem hatte sie Robert nie wieder etwas gesagt, wenn sich Blutungen verspäteten. Sie hatte einmal mit Dr. Feldkamp darüber gesprochen, und er meinte, es wäre nicht unwahrscheinlich, dass sie aufgrund ihrer Krankheit als Kind und der Operationen, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen, nun nicht mehr in der Lage war, ein Kind auszutragen. Nach und nach hatte sie sich damit abgefunden und freute sich, dass Finchens Kinder im Haus lebten und Robert und ihr viel Freude machten.
«Ich werde dir noch eine Krinoline mitgeben, die dich nicht so einschnürt», sagte Lina. «Lass uns die Stoffe für die Frühlingskleider auswählen.»
«Meinst du, zwei Kleider für das Haus und zwei Nachmittagskleider werden reichen?», fragte Beatrice. «Ich will nicht, dass Eberhard mich für eine Verschwenderin hält, nur weil ich so erzogen wurde.»
«Du brauchst auch noch etwas für den Abend. Eberhard möchte sicher nicht, dass seine Frau in Sack und Asche geht. Bring mir ein älteres Abendkleid vorbei, das ich umarbeiten kann. Damit kannst du dich dann sparsam zeigen.»
Während Beatrice sich wieder ankleidete, ging Lina hinüber zu Elise von Sannberg. «Haben Sie schon etwas gefunden, meine Liebe?», fragte sie, bemüht, freundlich zu klingen.
«O ja.» Elise deutete auf drei Zeitschriften, die aufgeschlagen auf dem Tisch lagen. «Ich dachte an diese Modelle – zunächst einmal.»
«Dann würde ich Sie bitten, mit mir zum Maßnehmen zu kommen. Ich bin gleich wieder da!» Lina ging hinaus und riefim Flur nach Finchen. Die ließ Sophie in der Küche, überprüfte noch einmal, ob ihre Haube richtig saß, und ging dann zu Elise von Sannberg, um ihr beim Auskleiden zu helfen.
«Das ist aber ein kleines Zimmer», sagte Elise, als sie hinter dem Wandschirm verschwand.
«Hier in Ruhrort ist alles ein wenig kleiner, gnädige Frau», hörte Lina Finchen sagen, und sie musste unwillkürlich lächeln.
Zita hatte den Rest des Tages in der stickigen Küche der alten Frau Heising verbracht. Sogar einen Teller des schrecklichen Eintopfes hatte sie heruntergewürgt – der Hunger trieb es hinein. Gegen vier Uhr war dann Hermann aufgetaucht, aber da sich inzwischen noch andere Kostgänger der Alten in der Küche aufhielten, nahm er Zita mit in die Kneipe gegenüber. Sie gehörte nicht zu den beliebtesten in der Altstadt, daher war es hier recht ruhig. Er bestellte Bier.
«Du bist sicher, dass der Greifer nicht weiß, wo ich bin?», fragte er. «Immerhin wusste es Tomasz ja.»
«Er hätte dich nie verraten, Hermann, das weißt du.»
Er verzog keine Miene. «Es stimmt, Tomasz und ich haben einmal einander versprochen, dass wir uns um unsere Familien kümmern, wenn uns etwas passiert. Nach der Sache damals hatte sich Tomasz’ Verpflichtung ja erledigt.» Er starrte eine Weile in sein Glas. «Zita, ich stehe zu meinem Wort. Aber ich kann dir nicht viel bieten. Das Zimmer habe ich für mich allein gemietet, normalerweise belegt die alte Heising jedes Bett doppelt, für einen Tagschichtler und für einen Nachtschichtler. Als der Mann, der sich mit mir das Zimmer teilte, letztes Jahr entlassen wurde, habe ich seinen Anteil mitbezahlt. Es ekelte mich, morgens in ein warmes Bett zu steigen. Aber du könntest das Bett natürlich nachts haben. Nur für dein Essen solltest du selber sorgen.»
«Ich habe kein Geld mehr. Einen Teil haben sie Tomasz abgenommen, als sie ihn töteten. Den anderen hatte ich versteckt, es hat gerade gereicht, um bis hierher zu kommen. Aber ich will mir eine Arbeit suchen.»
Er nickte. «Es ist zwar viel Konkurrenz hier, aber so, wie du aussiehst …»
Zita schüttelte heftig den Kopf. «Ich will eine ehrbare Arbeit, Hermann. Ich wische auf, arbeite als Schankmagd oder Wäscherin, was auch immer. Aber mit der Hurerei ist es vorbei.»
Er lachte sie nicht aus. Er sagte nur: «Du kannst es ja versuchen. Bis du etwas gefunden hast
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