Das dunkle Netz der Lügen
tot. «Wo ist Resi?», fragte sie leise.
«In Wien. Aber wenn du uns nicht glaubst …»
Zita glaubte ihm jedes Wort.
«Wenn du nicht tust, was wir dir sagen, wird die Kleine sterben. Oder …» Er grinste. «Vielleicht verkaufen wir sie auch. Kleine Mädchen sind begehrt.»
«Sie ist doch nicht einmal ein Jahr alt!» Zita traten die Tränen in die Augen.
«Das stört weder den Greifer noch die Kundschaft.» Weingart, der zwischenzeitlich wieder etwas von ihr abgerückt war, pikste sie ganz sanft mit dem Messer. «Und hüte dich davor, der Polizei irgendetwas zu sagen. Ich weiß, dass die Patronindes Salons mit dem Polizeichef der Stadt verheiratet ist. Ein falsches Wort, und du siehst deine Tochter nie wieder.»
Zita war noch wie betäubt, als sie einige Zeit später in die Milchstraße zurückkam. All ihre Freude über den Neuanfang war verraucht und hatte sich mit dem Grinsen Ulrich Weingarts in Luft aufgelöst. Natürlich hatte sie eingewilligt, die feinen Ruhrorter Damen für die Bande auszuspionieren. Sie hatten einen regelmäßigen Treffpunkt ausgemacht, denn Zita wollte Weingart von Hermanns Wohnung fernhalten. Aber bald würden sie sicher herausfinden, wo sie übernachtete, und dann war auch er nicht mehr sicher. Sofern sie nicht längst wussten, dass er in der Stadt war, und Uli nur geblufft hatte. Einen Moment lang dachte sie darüber nach, Hermann alles zu erzählen, aber dann wurde ihr klar, dass sie nicht konnte. Er würde sofort aus der Stadt verschwinden, und wenn die Bande ihn auf der Flucht aufgriff, würde der Greifer eins und eins zusammenzählen. Sie musste schweigen. Ihr eigenes Leben wollte Zita gern riskieren, aber nicht das ihrer Tochter. Das konnte sie einfach nicht.
Vorsichtshalber hatte sie viele Umwege gemacht, um herzukommen, bis sie sich sicher war, dass Weingart sie nicht verfolgte.
Hermann hatte gerade das Öfchen im Zimmer angeheizt. Er war sparsam mit den Kohlen und dem Holz, aber wenn er am späten Nachmittag aufstand, hatte er es gern ein wenig warm in dem kleinen Zimmer. Und auch Zita sollte nicht frieren, wenn sie später zu Bett ging. Er hatte sich gewundert, dass sie nicht da war, als er aufwachte, und jetzt stand sie in der Tür.
«Komm schnell rein, lass die Wärme nicht auf den Flur», sagte er knapp. Erstaunt musterte er ihren neuen schlichten Rock.
«Ich habe Arbeit, Hermann. Ab morgen nähe ich im ModesalonBorghoff. Stell dir vor, ich werde drei Silbergroschen am Tag verdienen!»
Er nickte anerkennend. Für eine Frau war das viel Geld.
«Wenn sie mich behalten, werden es sogar fünf sein!»
Dann erzählte sie, was passiert war. «Ich hab schon ein schlechtes Gewissen, weil Annas Unglück mein Glück ist …», sagte sie. Und ich bin ja umgehend dafür bestraft worden, dachte sie.
«Ich werde sparen, Hermann. Für den Fall, dass ich die Stelle wieder verliere.» Und für den Fall, dass sie schnell von hier verschwinden musste. «Und zu essen bekomme ich dort auch.»
«Du Glückliche», sagte er, fast ein bisschen der alte Hermann. «Ich rede mit Frau Heising. Ich zahle jetzt zweieinhalb Thaler im Monat, aber ich denke, sie will die Miete wieder erhöhen, auch wenn du nichts verzehrst. Du kannst mir einen Thaler zahlen.»
«Einverstanden. Wann gibt es eigentlich frische Laken hier?»
Hermann sah sie an, als hätte sie italienisch gesprochen. «Na, alle zwei, drei Monate.»
Dr. Feldkamps Frau Elsbeth hatte Lina am späten Abend bei der Krankenwache abgelöst. Lina wollte nicht, dass Finchen ihre vier Kinder über Nacht allein ließ, obwohl Maria und Antonie sich bereit erklärt hatten, sie zu hüten.
So hatte sie noch einige Stunden Schlaf gefunden und war wie üblich gemeinsam mit Robert aufgestanden. Nach dem Frühstück ging sie noch kurz durch die Werkstatt, beobachtete Zitas erste Versuche an der Nähmaschine, die erstaunlich gut ausfielen, teilte die Tagesarbeit ein und setzte sich kurz mit Finchen zusammen, um den Speiseplan der nächsten Tage, weitere Einkäufe und Hausarbeiten zu besprechen. Am Nachmittaghatte sich Kundschaft angesagt, dann würde wieder Finchen die Krankenwache übernehmen.
Etwa gegen acht Uhr kam sie im Haus der Jansens an. Elsbeth Feldkamp sah besorgt aus. «Sie ist immer noch nicht aufgewacht. Und ich glaube, sie fiebert.»
«War der Doktor schon da?», fragte Lina.
«Er kommt gleich, er wollte noch vor der Morgensprechstunde nach ihr sehen.» Elsbeth schüttelte zweifelnd den Kopf. «Wenn sie nicht
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