Das dunkle Netz der Lügen
protestierte Susanna.
Zita funkelte sie an. «Du bist doch sehr gut an der Maschine, oder? Traust du dir das nicht zu?»
«Doch … aber Frau Borghoff …»
«Frau Borghoff möchte sicher, dass das Kleid zur Anprobe fertig ist. Und jetzt los, Grete, mach schon.»
Vorsichtig trennte Grete das Oberteil wieder auf. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie den Kragen abnahm, der ihr so viel Mühe gemacht hatte. Zita legte die gebügelten Teile erneut zusammen, und die anderen nickten zustimmend. Dann begann Susanna, die Teile mit der Maschine wieder zusammenzunähen. Es wurden gleichmäßige, feste Nähte. «Die Knopfleiste auch!», sagte Zita, als sie fertig war.
«Aber …»
«Einmal von jeder Seite.»
Ganz langsam kurbelte Susanna. Sie hatte noch nie eine sichtbare Naht mit der Maschine gemacht. «Es sieht gut aus», sagte sie, als sie fertig war. Die von Maria in Handarbeit genähte Knopfleiste saß gerade und fest an dem offenen Oberteil.
Zita heftete rasch die Ärmel an, dann begann Grete wieder mit der kniffeligen Arbeit am Kragen.
Bis halb zwei musste nur noch das Oberteil mit dem Rock verbunden werden. Das war der Moment, als Lina die Werkstatt betrat. «Noch nicht fertig?», fragte sie stirnrunzelnd.
«Jetzt», sagte Zita und hielt ihr das Kleid hin.
Lina sah es sich kritisch an. Dann fiel ihr Blick auf die Knopfleiste. «Wer hat die angenäht?», fragte sie.
«Ich», sagte Susanna schüchtern.
«Mit der Maschine?»
«Ja.»
Lina prüfte die anderen Nähte. «Das war doch gestern Abend schon fertig. Was ist passiert?»
Grete trat vor und erzählte alles. «Und dann hat Zita gesagt, Susanna ist gut genug an der Maschine, um auch das Oberteil darauf zu nähen. Und die Knopfleiste anzubringen.»
Alle vier Näherinnen schienen sich zu ducken und ein Donnerwetter zu erwarten. Aber es kam nicht.
«Die Nähte sind gut. Ich glaube, ich habe die Maschinen bisher unterschätzt.» Lina lächelte. «Und deine Fähigkeiten auch, Susanna.»
Sie blickte auf die Uhr. «Die Kundin müsste jeden Moment hier sein. Zita, Finchen ist heute Nachmittag bei Anna, ich möchte, dass du mir hilfst. Lass dir von Antonie eine Haube geben und steck dein Haar auf.» Man konnte den anderen Mädchen ansehen, dass sie Zita um diese Belohnung beneideten.
Im Rathaus saßen der Commissar, Ebel und Recke bei Bürgermeister Weinhagen. Seit den Vorfällen vor sechs Jahren hatte es keinen Mordfall mehr gegeben, sieht man davon ab, dass ein betrunkener Schiffer in einem Anfall von Eifersucht seine Frau erwürgt hatte. Eine Schlafende mit einem Kleinkind zu überfallen zeugte von ausgesprochener Brutalität.
Ruhig hörten sie dem Bericht zu, den Sergeant Fritz Recke verfasst hatte, von dem Zeitpunkt an, als man ihn und Polizeidiener Kramer in die Kleine Straße rief, bis zu seiner abschließenden Untersuchung des Tatortes. Was auffiel, war, dass es keinerlei Hinweise gab, die darauf hindeuteten, dass jemand das Fenster als Einstieg benutzt hatte. Der Rahmen war schmal und roh gezimmert, da wäre es nur zu wahrscheinlich gewesen, wenn der Täter sich die Kleidung aufgerissen hätte. Aber man hatte keinerlei Stoffspuren entdeckt. Da jedoch die Tür nicht gewaltsam geöffnet worden war, blieb nur das Fenster als Einstieg.
Dr. Feldkamps Bericht über Annas Verletzungen zeigten, dass Anna sich zunächst noch gegen den Eindringling gewehrt haben musste, denn an ihren Unterarmen hatte sie starke Blutergüsse.
«Wieso hat sie dann die Hände heruntergenommen und sich ungeschützt auf den Kopf schlagen lassen?», fragte William Weinhagen.
«Vielleicht war sie schon bewusstlos, und der Kerl hat weiter auf sie eingeschlagen», vermutete Recke.
Robert Borghoff schüttelte den Kopf. «Nein. Sie hat versucht, ihr Kind zu schützen.» Er sah dem Bürgermeister direkt ins Gesicht. «Ich habe die Leiche des Kleinen gesehen. Er ist nicht einfach erstickt worden. Sein Brustkorb war eingedrückt.»
Weinhagen atmete schwer. «Sie meinen, Anna Jansen hat ihr Kind erdrückt, weil sie es beschützen wollte?»
«Ja. Ich hoffe, es war in Ihrem Sinne, dass ich keine Obduktion angeordnet habe, Herr Bürgermeister. Wenn Anna durchkommt, soll sie nicht damit leben müssen. Es steht schon schlimm genug um sie.»
Der Bürgermeister nickte. «Das war richtig, Herr Commissar, davon sollte nichts an die Öffentlichkeit kommen.Und, Ebel?», wandte er sich an den Inspektor. «Was sagt denn die Öffentlichkeit?»
Ebel, der Ruhrort und zumindest die
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