Das dunkle Netz der Lügen
wollte nicht, dass Simon ihn erkannte. Wenn er auch nicht nach Ruhrort zurückdurfte, wer weiß, wem er erzählen würde, dass der Neffe des Commissars statt bei seinem Hauslehrer auf dem Weg nach Duisburg war.
Es war noch ein weiter Fußmarsch bis in die Stadt von der Fähre, die im Dorf Kaßlerfeld anlegte. Die Dorfpolizei kontrollierte die Ankommenden nicht, sie hatte zu wenig Leute und machte nur ab und zu Stichproben. Die Reisenden zog es ohnehin nicht in das Dorf, die meisten wollten weiter nach Duisburg oder zogen Richtung Süden nach Hochfeld, wo sicheinige Industriebetriebe angesiedelt hatten. Emil blieb in der Gruppe, unter die er sich schon auf dem Fährschiff gemischt hatte. In einiger Entfernung bemerkte er Simon, der sich ebenfalls auf den Weg in die Stadt begab.
Vor der Stadt wurden sie kontrolliert. «Ich bin Hans Schmitz», erklärte er dem Beamten. «Ich arbeite in Ruhrort und möchte meine Tante Mina Bleibtreu in der Wallstraße besuchen.»
Der Polizeibeamte notierte nichts, sondern winkte den ordentlich gekleideten jungen Mann durch.
«Können Sie mir sagen, wie ich zur Wallstraße komme? Ich bin zum ersten Mal hier.» Es stimmte zwar nicht ganz, denn wie jeder Ruhrorter hatte auch Emil schon mal in Duisburg eingekauft, trotzdem hieß das nicht, dass er sich hier auskannte.
«Immer geradeaus», sagte der Beamte. «Dann rechts in den Sonnenwall, und von da geht es links in die Wallstraße.»
«Danke.»
Mit klopfendem Herzen ging Emil los. Was, wenn seine Mutter gar nicht zu Hause war? Hinter sich, an einer zweiten Kontrollstelle, hörte er eine laute Auseinandersetzung. Besonders willkommen schien Simon auch in Duisburg nicht zu sein.
Mitten in den Ballvorbereitungen hatte Lina auch noch die neuen Vorhänge für Elise von Sannberg nähen lassen. Außer für sich und die Familie hatte sie bisher noch keine derartigen Aufträge angenommen, aber bis die Zeiten besser wurden, war jeder Thaler willkommen, und mit den Maschinen waren die langen geraden Nähte schnell fertiggestellt. Sie brachte die fertigen Vorhänge mit Christian hinüber zu den von Sannbergs.
Lina musste warten. Mit leicht rotem Kopf erklärte Rose, dass die Hausherrin noch beschäftigt sei. Und das war auch nicht zu überhören. Aus dem Salon tönte ein lauter Streit bisin den Eingangsbereich. Aber Rose wusste nicht, wohin sie Lina bringen konnte, damit sie die Auseinandersetzung nicht mit anhören musste, da das Herrenzimmer noch voller Kisten stand. Und Lina anzumelden, traute sie sich offensichtlich nicht. Verlegen verschwand sie in der Küche, nachdem sie Lina einen Stuhl in der Eingangshalle angeboten hatte.
Lina schickte Christian zurück in den Laden, da sie das Geschäft allein gelassen hatten. Ihr wäre nicht wohl dabei gewesen, wenn er den Streit mit anhörte.
Zunächst erkannte Lina die Männerstimme nicht.
«Cornelius ist mein Mann!», hörte sie Elise sagen.
«Und ich hatte dich gebeten, ihn nicht zu heiraten. Aber du hast ja immer nur Geld im Kopf.»
«Von Luft und Liebe kann ich nicht leben, Ferdinand.»
Lina durchzuckte es, als sie den Namen hörte. Ihre Vermutung war also richtig, die beiden hatten eine Affäre, und offensichtlich war sie älter als die Bekanntschaft mit Cornelius.
Er wurde wieder lauter. «Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann könntest du auch bescheidener leben, Elise.»
«Wenn du mich wirklich lieben würdest, hättest du zugesehen, mehr Geld zu verdienen. Dich hält es ja auf keiner Stelle länger als ein paar Monate!»
«Aber ich wollte immer nur in deiner Nähe sein!» Er brach ab. «Das ist doch alles nicht wichtig, Elise. Als du ihn heiraten wolltest, dachte ich, nur ein weiterer alter Mann, der nicht lange lebt. Aber er ist rüstig und sieht sogar gut aus. Und ich weiß, dass er mit dir schläft!»
«Er ist mein Mann, Ferdinand. Die beiden anderen Tattergreise haben mich nicht angerührt, aber ich kann mich ihm nicht verweigern. Und ich will es auch nicht.»
Obwohl Lina sehr neugierig war, wie es weiterging, wollte sie Elise doch die Peinlichkeit ersparen. Sie ließ den Korb mit den Vorhängen stehen und steckte ihren Kopf in die Küche.
«Rose, sag der gnädigen Frau, dass ich die Vorhangstoffe gebracht habe. Wenn sie mich noch braucht, soll sie jemanden schicken, ich komme dann noch einmal her. Lass dir nicht anmerken, dass ich etwas von diesem Streit mitbekommen habe.»
«Die beiden streiten öfter», sagte Rose leise. «Sie scheinen sich schon lange zu
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