Das dunkle Netz der Lügen
haben, Robert würde ihn nur eine Weile schmoren lassen, und dann wäre alles vergeben. Langsam dämmerte ihm, dass er es sich mit den Borghoffs gründlich verdorben hatte. Er dachte einen Moment nach. «Nun … dann werde ich wohl mit meiner Frau und meinen Kindern woanders hingehen müssen.»
«Nein, Simon. Finchen hat sich entschieden, bei uns zu bleiben – mit den Kindern. Du hingegen musst Ruhrort verlassen.» Borghoff schob Simon den Ortsverweis hin. «Der Bürgermeister hat angeordnet, dass du in Ruhrort nicht mehr willkommen bist. Wir werden dich nach diesem Gespräch aus der Stadt bringen, und sollte ich oder einer meiner Männer dich noch einmal hier vorfinden, wirst du wieder hinter Gittern landen – und dann für länger.»
Simon starrte auf das Papier und das offizielle Siegel des Bürgermeisters. «Meine Frau muss mit mir gehen», sagte er nachdrücklich.
«Nein, das muss sie nicht. Du hast nur zwei Möglichkeiten. Entweder du lässt dich von uns aus der Stadt bringen und kommst nie wieder zurück, oder ich werde dafür sorgen, dass du diesen Ort hier sehr lange nicht mehr verlässt. Vielleicht wirst du auch wegen etwas verurteilt, das ich mir noch überlegen werde. Im Zuchthaus ist es weniger gemütlich als hier.»
Simon sah ihn hilflos an. «Aber meine Kinder … Und wohin soll ich denn gehen?»
«Du könntest versuchen, Arbeit auf dem Phoenix zu bekommen, da nehmen sie es mit den Referenzen nicht so genau. Wir können dich aber auch zur Duisburger Fähre oder zur Aakerfähre bringen. Die weite Welt wartet auf dich.» Er griff in seine Tasche und warf ein paar Münzen auf den Tisch. «Obwohl wir dir nach deiner Untat gar nichts schulden, bestanddeine Frau darauf, dir den Rest von deinem Lohn mitzugeben.»
Gierig griff Simon nach dem Geld. «Ich will nach Duisburg», sagte er.
«Gut. Dann wird Polizeidiener Kramer dich zur Fähre bringen. Sie können dann gleich dort bleiben, Kramer.» Der Polizeidiener hätte eigentlich heute Dienst an der Fähre gehabt.
Er wartete ab, bis Simon die schmutzigen Kleider verpackt hatte und mit Kramer losgezogen war.
«Der Bursche ist in ein paar Tagen wieder in der Altstadt und verspielt sein letztes Geld», sagte der Gefängnisaufseher, als Robert sich verabschiedete.
Robert wusste, dass er recht hatte. Vermutlich würde er Simon noch öfter zur Fähre bringen lassen müssen.
Es war ein sehr schöner Frühlingsmorgen, und Emil hatte wieder einmal beschlossen, den Unterricht zu schwänzen und sich vom Hauslehrer davonzustehlen. Seit er heimlich den Brief vom Duisburger Gericht an seinen Onkel und seine Tante gelesen hatte, war er immer wieder zur Duisburger Fähre gelaufen. Sein Herz hatte bis zum Hals geklopft, als er das Schreiben fand. Das war der Beweis für die Lügen seines Vormundes. Seine Mutter kümmerte sich sehr wohl um ihre Söhne, sie versuchte, sie zu sich zu holen. Kein Wort hatte sein Onkel darüber verloren.
Zunächst hatte er darüber nachgedacht, seinen Bruder Josef einzuweihen, aber dann war ihm das nicht mehr klug erschienen. Der brave kleine Josef wäre vermutlich gleich zu Onkel und Tante oder sogar zum Commissar gerannt.
An den Tagen, an denen er bisher versucht hatte, auf die Fähre zu kommen, hatten dort immer entweder Polizeidiener Schröder, Inspektor Ebel oder der neue Polizeidiener KramerDienst getan und die An- und Abreisenden kontrolliert. Sie kannten ihn und hätten ihn nicht weggelassen.
Aber heute hatte er Glück. Kein einziger Polizist stand am Fähranleger. Er reihte sich bei den Wartenden ein. Als die Fähre angekommen war und sich langsam geleert hatte, bezahlte er seinen Groschen und ging auf das Boot. Vorsichtshalber mischte er sich mitten unten die Fahrgäste und hoffte, dass es nun bald losging.
Der Fährkapitän hatte schon einen Signalton blasen lassen, da erkannte Emil zu seinem Schrecken Polizeidiener Kramer, der den Anleger hinuntereilte, bei sich einen jungen Mann, den er geradezu auf die Fähre zerren musste.
«Der muss noch mit!», rief Kramer. «Und nehmt ihn auf keinen Fall mit zurück. Er wird in Ruhrort nicht mehr geduldet.»
Erst als er das Schiff betreten hatte, erkannte Emil den jungen Mann. Es war Simon Weber, der Hausknecht seiner Tante Lina. Natürlich hatte auch er davon gehört, dass Simon seine Frau halbtot geschlagen hatte. Sie werfen ihn einfach aus der Stadt, dachte er, wie meine Mutter. Sie konnten sich alles erlauben in dieser Stadt.
Er duckte sich ein wenig, denn er
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