Das Dunkle Netz Der Rache
ihn?«
Er zögerte einen Augenblick, als dächte er über ihre Frage nach. »In der Highschool war er mein bester Freund.« Er beugte sich wieder vor und aß noch einen Löffel Suppe. »Nachdem ich zur Armee gegangen war, haben sich unsere Wege getrennt. Er hat studiert, als ich in Nam war, und als er nach Millers Kill zurückkehrte, war ich schon lange fort.«
»Habt ihr eure Beziehung nach deiner Rückkehr nicht mehr wiederbelebt?«
»Wir sind zu unterschiedlich. Es ist zu viel Zeit vergangen. Außerdem benehmen Menschen sich anders, wenn man Uniform trägt.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, bemerkte sie trocken.
»Ja, aber du musst dir wenigstens keine Sorgen machen, dass du am Ende vielleicht einen deiner Kumpels verhaften musst.« Er rutschte auf dem Sessel herum. »Man findet jemanden sympathisch, denkt, das ist ein Typ, mit dem man gern was machen würde, angeln gehen, zum Beispiel, und dann fragt man sich, wie es sein würde, wenn man ihn bei einer Straßenkontrolle rauswinkt. Oder zu seinem Haus fährt, weil er seine Frau verdrischt. Oder ihn bei der Arbeit überrascht, weil sein Boss glaubt, dass er die Bücher frisiert.«
»Du hältst nicht gerade viel von der menschlichen Natur, oder?«
»Linda hat heute Morgen dasselbe gesagt.«
Clare lächelte ein bisschen. »Sie kennt dich gut.«
»Ja.«
Sie betrachtete ihn eine Weile, während er seine Suppe aß.
Er hob den Kopf. »Was?«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Du hast etwas gedacht.«
Sie lächelte. »Ich frage mich, ob einer der Gründe, warum du die Nähe zu mir zulässt, darin besteht, das eine Priesterin dich weniger wahrscheinlich enttäuschen wird.«
Er dachte darüber nach. »Weil sie sich vermutlich nicht in Schwierigkeiten bringen wird, meinst du das?«
»Oder vermutlich weniger menschliche Schwächen hat.«
»Na ja, wenn das der Grund war, habe ich mich selbst reingelegt, oder? Ich kenne niemanden, der so viel Ärger anzieht wie du.«
»Das ist nicht fair! Nur weil ich berufen bin, mich …«
Das Feixen hinter dem Suppenlöffel verriet ihr, dass er sie nur ärgern wollte. Sie hob ihre Schale und versuchte, ein finsteres Gesicht zu machen. »Du glaubst, du würdest mich durch und durch kennen, oder?«
»Nein.« Seine Stimme war gedämpft. »Ich glaube, dass du mich stets überraschst und entzückst. Und deshalb lasse ich dich an mich heran.«
Sie starrte ihn an, ihr Gesicht wurde heiß. Ruhig erwiderte er ihren Blick, und es war ein Gefühl, als würden sie im tiefen Wasser versinken, einander nur bei ihren Worten haltend. Falls sie nach oben schaute, würde sie weit, weit über sich die blassblaue Oberfläche des Ozeans erkennen.
Die Küchentür sprang auf.
»Vikarin?«, rief eine britische Stimme. »Bist du zu Hause?«
Abendandacht
Eine Kollekte um Hilfe in Gefahren Erleuchte unsere Finsternis, wir bitten dich, o Herr, und behüte uns gnädiglich vor allen Anfechtungen und Gefahren dieser Nacht: um der Liebe Deines einzigen Sohnes, unseres Heilandes Jesu Christi willen.
Amen.
17:00 Uhr
Sie wirkten wie eine Dreierkonstellation in einer dieser britischen Beziehungsfarcen. Dort saß sie, nur mit einem Bademantel bekleidet, der sich, wie sie feststellte, als sie Hughs Blicken folgte, beim Bücken und Strecken in der Küche merklich gelockert hatte und nun wesentlich mehr von ihrer Brust freigab, als sie beabsichtigt hatte. Ihr gegenüber saß ein nur scheinbar entspannter Russ, der aus jeder Falte Anspannung verströmte und dessen Versuch, lässig und freundlich zu erscheinen, von seinen düsteren Blicken beeinträchtigt wurde, die sein Schuldgefühl geradezu herausschrien. Und schließlich Hugh, der mit der Weinflasche in der Hand und finsterer Miene dastand und vom einen zum anderen schaute, als wartete er darauf, dass jemand die erste Zeile sprach und das Spiel begann.
Clare widerstand dem Drang, den Bademantel eng um sich zu schlingen und sich mit einem Es ist nicht so, wie du denkst zu rechtfertigen. Stattdessen lächelte sie strahlend und sagte: »Hugh! Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst. Ich hoffe, die Fahrt war nicht zu schlimm. Du erinnerst dich doch an Russ Van Alstyne, nicht wahr?«
Die Männer musterten einander voller Abscheu.
»Russ schneite gerade herein, als ich mir Suppe heiß gemacht habe.« Angesichts der Leichtigkeit, mit der ihr die Lüge über die Lippen glitt, verspürte sie ein leichtes Unbehagen. »Möchtest du auch etwas?«
»Nein, danke.« Normalerweise war Hugh ein leibhaftiger
Weitere Kostenlose Bücher