Das Dunkle Netz Der Rache
umbringen, weil er manchmal gewisse Rechnungen und Mahnungen verschwinden ließ.
Er hatte die Briefe der Stadt mit den Steuerforderungen einfach nicht beachtet. Was konnten sie ihm schon? Die Hypothek hatten seine Eltern 1985 abbezahlt. Bei der Scheidung hatte sein Vater seiner Mutter für ihre Haushälfte die Hälfte seiner Rente, den Wohnwagen und seine Lebensversicherung überschrieben. Seine Mutter hatte bei dem Handel das bessere Geschäft gemacht, als sein Vater vor zwei Jahren, genervt vom ewigen Gekeife seiner Freundin wegen seines Hustens, zum Arzt gegangen war, um sich Antibiotika zu besorgen, und mit der Diagnose metastasierender Lungenkrebs heimgekommen war. Fünf Monate später war er tot. Er war fünfundsechzig Jahre alt geworden. Randy hatte Haus und Grund geerbt, frei und unbelastet.
Was bedeutete das, Pfändung? Er stellte sich vor, wie die Polizei kam, ihn und Lisa hinauswarf, das Haus zwangsvollstreckte und versteigerte. Wohin sollten sie dann gehen? Obdachlos, arbeitslos, die Kreditkarten ausgereizt. Er zuckte bei der Vorstellung zusammen, wie er Lisas Eltern um ein Darlehen anging. Oder noch schlimmer, bei ihnen einzog. Er konnte sich schon ausmalen, wie seine missbilligende Schwägerin und ihr Arschloch von Ehemann reagieren würden.
Er musste seinen Job wiederhaben. Diese eine Sache, wenn Ed Castle nicht verkaufte, war das Einzige, was verhindern konnte, dass Lisas und Randys Leben den Bach runterging. Vielleicht konnte man Castle überreden, Randy Ausrüstung und Mannschaft zu überlassen. Sie konnten den Betrieb weiterführen und Eddy sogar ein bisschen Geld nach Florida schicken. Sicher würde er damit besser dran sein, als wenn er einfach das Handtuch warf und von der Wohlfahrt lebte.
Die einleuchtende Richtigkeit dieser Idee war wie heißer starker Kaffee an einem kalten Morgen, baute ihn auf, wärmte seine Hände und Füße. Aufgeregt stand er auf, um mit Ed zu reden, ihm zu zeigen, dass der Rückzug aus dem Geschäft nicht das Ende des Betriebs bedeutete. Dann würde er sich mit den anderen Männern in Verbindung setzen. Er war sicher, dass sie weiter Holz fällen würden, wenn sie konnten. Sie würden zusammenlegen. Eines von diesen – wie nannte man die – Kollektiven. Randys Stiefelabsätze knallten auf das Pflaster, als er zu seinem Motorrad lief. Lisa hatte recht. Ihm fiel immer etwas ein.
10:45 Uhr
Auf dem Geländewagen ihres Vaters waren Blutspuren. Der Explorer, auf dessen Heckklappe ein Aluminiumgestell montiert war, blockierte die Einfahrt. Es sah aus wie jeder andere Fahrradträger, abgesehen davon, dass das Gestell voller roter, verkrusteter Flecken war, die eine Tropfspur über die Einfahrt bis zur angebauten Garage hinterlassen hatten. Sah so aus, als hätte er seinen Hirsch dieses Jahr geschossen. Becky suchte sich vorsichtig ihren Weg zur Eingangstreppe. Ihre Mutter würde ihr die Haut abziehen, wenn sie Blutspuren auf dem Boden hinterließ. Sie kontrollierte ihre Schuhsohlen und trat sie gründlich auf der borstigen Matte ab, ehe sie die Haustür öffnete.
»Hallo«, rief sie. »Jemand zu Hause? Mom?«
Das kleine Erdgeschoss war verlassen. Sie ging durch die Küche auf die hintere Veranda. Von dort hörte sie ein durchdringendes Sägegeräusch. »Dad?«, rief sie.
»Hier hinten«, ertönte die Antwort.
Becky lief die Stufen hinunter und folgte dem Geräusch um die Ecke der Garage. Der Kupfergeruch des Blutes überwältigte sie fast. Ihr Vater hatte den Hirsch kopfüber an einem Metallhaken an einem Holzrahmen aufgehängt. Sein Körper war vom Brustbein bis zu den Lenden aufgeschlitzt, und seine weit gespreizten, an der Querlatte befestigten Hinterläufe schimmerten im kalten Sonnenlicht. Sie waren gehäutet und unterhalb der Gelenke abgetrennt.
»Iiih! Dad, was machst du da?«
Ihr Vater, der gerade die Leisten des Hirschs aufsägte, hielt inne. »Ich häute meinen Hirsch.« Er trug einen weiten Overall, der aussah, als wäre er nach einem heftigen Kampf übriggeblieben. – Blutergussgelb, schmierig grau und blutig. »Wenn er dann ein paar Tage abgehangen hat, zerlege ich ihn.«
Becky zuckte zusammen. »Kann das nicht jemand anders für dich machen?«
Ihr Vater drehte sich zu ihr um, die Bügelsäge in der Hand. Er hatte diesen Ausdruck im Gesicht, der sagte: Schick sie auf ein schickes College, und sie verliert den gesunden Menschenverstand. »Natürlich. Aber ich habe nicht vor, jemandem gutes Geld für eine Arbeit zu bezahlen, die jeder Idiot mit einem
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