Das Dunkle Netz Der Rache
ging einen Meter, zwei Meter, drei. Schaffte es um eine weitere Wegbiegung. Ihr Kopf schwamm, und einen Moment lang wurde alles dunkel, aber sie atmete, und die Welt kehrte in ihr Blickfeld zurück. Sie war müde. So müde. Sie musste sich hinsetzen und ausruhen. Nur einen Augenblick. Sie sank auf die Straße, stützte sich mit der Hand ab. »Hilfe«, rief sie zögernd. Sie holte tiefer Luft. »Hilfe!« Merklich lauter. »Hilfe!«, kreischte sie. Was einen Schwarm Krähen veranlasste, aus den Bäumen aufzusteigen und am klaren Himmel über dem Weg zu kreisen, ehe sie hügelan verschwanden. »Hilfe! Hilfe! Hilfe!«, heulte sie, bis die Wälder ringsumher vom Echo widerhallten.
Genug. Ab zur Straße. Sie rollte sich auf die Knie und stemmte sich vom Boden ab, versuchte, wieder hochzukommen. Sie spürte einen glühenden Schmerz, der in ihren Eingeweiden wühlte und zerrte. Tief in ihrem Inneren riss sich etwas los – oh, das ist nicht gut, nicht gut, dachte sie, und dann drehte sich alles, und ein Strom dunkler Blasen stieg in ihrem Kopf auf, und sie war fort.
Ablauf der Mittagsmesse
Priester: O Gott, komm uns zu Hilfe
Gemeinde: Herr, eile uns zu helfen
12:00 Uhr
Shaun Reid stand in seinem Büro und dachte über den Rest seines Lebens nach. Er war den ganzen Weg von der AllBanc nach Hause gefahren, um dann müßig in der Einfahrt zu stehen, das Garagentor anzustarren und sich zu fragen, was mit ihm los war. Warum konnte er nicht einfach das Geld kassieren und verschwinden? Terry McKellan hatte recht: Er würde genug Geld besitzen, um sich zurückziehen und mit seiner hinreißenden jungen Frau ein stilvolles Leben führen zu können. Teufel noch mal, schließlich war er an heutigen Maßstäben gemessen selbst noch jung. Fünfzig bedeutete erst den Anfang der mittleren Lebensjahre. Er hatte noch dreißig, fünfunddreißig weitere Jahre vor sich, wenn er auf sein Cholesterin achtete und aktiv blieb.
Die Aussicht war wie der Blick auf eines dieser rätselhaften verschachtelten Bilder, auf denen sich hintereinander eine endlose Reihe von Kartons öffnet, jeder Karton ein grauer, leerer Raum. Er stieß aus der Einfahrt zurück und fuhr zur Fabrik, die Straßen entlang, die er seit dreißig Jahren benutzte. Länger, wenn man die Zeit mitzählte, in der er neben seinem Dad auf dem Beifahrersitz gesessen hatte.
Er hatte es geliebt, mit dem alten Herrn zur Arbeit zu fahren. Als er noch zu klein für die Fabrikhalle gewesen war, hatte sein Dad ihn mit in die Büros genommen. Er war auf dem Drehstuhl der Sekretärin herumgerollt, und sie hatte ihn am Vervielfältigungsapparat kurbeln und Bonbons aus der Schale auf ihrem Schreibtisch stibitzen lassen. Als er älter wurde, hatte er es genossen, wenn sein Dad mit ihm sprach wie mit einem Erwachsenen, Zahlen und Fakten nannte, ihn nach seiner Meinung fragte. Zu Hause durfte er seinen Vater nicht stören, wenn der sich nach der harten Arbeit des Tages in seinem Sessel entspannte, die Zeitung las und den Tom Collins trank, den Mom ihm immer servierte. Aber in der Fabrik war es anders. Dad war munter, dynamisch, aufmerksam. Sie waren ein Team.
Er hatte nie wegziehen oder etwas Eigenes aufbauen wollen. Auf dem College, wo seine Kommilitonen marxistische Literatur lasen und gegen den Krieg demonstrierten, verleugnete er sein Betriebswirtschaftsstudium, weil das fast genauso uncool war wie Reserveoffizier. Aber es hatte immer außer Frage gestanden, dass er nach Millers Kill zurückkehren würde, wo das Büro neben dem seines Vaters auf ihn wartete.
Dort stand er jetzt. Es war klein, zwischen Empfangsbereich und die ehemalige Buchhaltung gequetscht, die mittlerweile an eine große Firma übertragen worden war, die sich um Gehälter, Steuern und Sozialabgaben kümmerte. Er hatte gehofft, dass Jeremy eines Tages hier arbeiten würde, in Hörweite seines Vaters, aber – er verdrängte den Gedanken. Betrat das Büro, das seinem Vater und Großvater gehört hatte.
Die meisten der alten Bilder aus den ersten Tagen der Gesellschaft hingen heute im Empfangsbereich, wo sie jeden beeindruckten, dem es einen Kick versetzte, dass das Geschäft schon über ein Jahrhundert ohne Besitzerwechsel überdauerte. Die Bilder und Tafeln in seinem Büro waren privat, und während er sie betrachtete, wurde ihm bewusst, wie stark sein Leben von der Fabrik und seiner Rolle darin geprägt worden war.
Da waren seine Mom und sein Dad und er mit Latzhosen und Locken, wie sie während der
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