Das Dunkle Netz Der Rache
schaukelte sich in eine sitzende Haltung. Ihr Rücken tat weh, und ihr Magen knurrte. Steine, Eimer, Decke, Boden. Nein, keine Änderung. Ein äußerst dünner Sonnenstrahl streifte den Boden vor dem westlichen Fenster. Es musste Nachmittag sein.
Was, wenn niemand kam?
Ein Kratzen an der Tür. Ein Riegel wurde zurückgeschoben. Sie erschrak, und einen Sekundenbruchteil konnte sie nur starren. Dann schloss ihr Verstand zu ihren übrigen Sinnen auf, und sie stieß sich wild vom Boden ab. Verzweifelt schob sie sich über die Bohlen in Richtung Wand, um auf die Beine zu kommen. Die Tür schwang auf.
Es war ein Mann. Der leuchtend blaue Himmel, der vom Torbogen hinter ihm eingerahmt wurde, tauchte ihn in den Schatten. Er war nur schwer zu erkennen. Stiefel, dunkle Hose, dunkler Pullover, und eine leuchtend orangefarbene Jacke. Das Gesicht unter einer olivgrünen Skimaske verborgen. Alles direkt aus einem Militärzubehör-oder Jagdausrüstungsgeschäft. In seiner Hand ein dunkler Rucksack, der gerade genug Platz für eine tödliche Schusswaffe bot. Chirurgische Instrumente. Eine Videokamera.
Er beugte sich vor, um ihn abzustellen. Sie stieß sich von den Holzbohlen ab, einmal, zweimal, und knallte mit dem Rücken gegen die Mauer. Sie zog die Knie an und setzte die Stiefel fest auf den Boden. Mit schmerzenden Oberschenkeln kämpfte sie sich nach oben.
Ihr Kidnapper stand ihr gegenüber. Er hob die Hand, den Finger, als wollte er fragen: Könntest du bitte noch einen Moment warten? Er griff in seine Hosentasche, zog ein Messer mit Horngriff heraus und klappte es auf.
Ein unberührter Teil ihres Ich stand daneben und staunte, dass sie nicht auf der Stelle in Ohnmacht fiel. Stattdessen schmiegte Millie sich gegen die Wand und ließ die Eisenschraube vom Gelenk in ihre Hand gleiten. Sie war vollkommen konzentriert, unheimlich ruhig wie ein Schockpatient, bevor der Schmerz einsetzt. Sie bereitete sich darauf vor, um ihr Leben zu kämpfen, mit auf den Rücken gefesselten Händen.
Der Mann zögerte. Sah sich um. Dann hörte sie es ebenfalls, ein rhythmisches Knarren. Sie konnte das Geräusch absolut nicht einordnen, bis der Mann das Messer zuklappte, aus der Tür schlich und sie hinter sich schloss. Natürlich. Die Treppe. Die Wendeltreppe zwischen den Galerien war aus Holz und alt, und plötzlich stieg eine Erinnerung in ihr auf, vollkommen deutlich: Sie ging die Treppe hinauf, die große Hand ihres Vaters hielt sie fest, erlaubte ihr, über das Geländer auf die wogenden Bergketten ringsumher zu spähen. Unter dem Tritt ihres Vaters hatten die Stufen genauso geknarrt.
Der Mann war verschwunden. Er hatte die Tür geschlossen.
Aber nicht verriegelt.
War es ein Trick? Lauerte eine ganze Bande dort draußen? Die vielleicht stritt, was sie mit ihr machen sollten? Sie umklammerte die Schraube, ihre einzige Waffe, noch ein wenig fester. Schwankend hüpfte sie zur einzigen geraden Wand der Zelle. Nicht direkt zur Tür. Neben die Tür. Wo jemand, der aus dem hellen Novembertag hereintrat, sie nur schwer sehen konnte, wenn auch nur einen Moment lang. Sie wusste, was sie zu tun hatte.
13:05 Uhr
Die Treppe gefiel Shaun nicht. Sie wurde nur vom restlichen Licht der Galerien beleuchtet, so dass er in der Mitte der in einer Kurve an der Wand verlaufenden Treppe im Dunkeln weiterging. Die Steinmauern rückten zu beiden Seiten erstickend dicht heran, und die über die Jahrzehnte durch die offenen Bogen eindringende rauhe Witterung hatte zu viele der Stufen verrotten lassen, die unter seinem Gewicht nachgaben.
Unter diesen Umständen fiel es ihm schwer, seinen Schwung beizubehalten. Je höher er gelangte, desto langsamer wurde er, fragte sich bei jeder Biegung, wer – was – ihn oben erwartete. Kopf und Schultern kamen ihm abscheulich verwundbar vor. Sein Selbsterhaltungstrieb kreischte ihn an, sich umzudrehen und zu verschwinden und nie mehr zurückzuschauen, aber ein unvollendeter, unausgesprochener Gedanke ließ ihn weitersteigen. Er konnte ihn nicht in Worte fassen, es war eher eine Gleichung: Geheimnis + van der Hoeven = Fremdkapital. Oder vielleicht: WENN van der Hoevens Vorhaben = illegal, DANN Gelegenheit. Was immer es war, es spornte ihn an, langsam weiter nach oben zu steigen, obwohl sein Instinkt ihm sagte, dass etwas Schlimmes passieren würde.
»Was, zum Teufel, machen Sie hier?« Die Gestalt über ihm war viel zu groß für van der Hoeven, und Shaun wurde einen Moment von Panik erfasst. Dann riss sich der Mann die
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