Das Dunkle Netz Der Rache
gut. Er kann Ihnen nichts mehr tun.« Er griff nach dem Paketband, das sie knebelte. Sie zuckte zurück, Tränen strömten aus ihren Augen. »Ich werde das jetzt abreißen. Es tut mir leid, aber es wird weh tun.« Er zog eine winzige Ecke ab, während sie zitternd vor ihm stand, dann riss er mit aller Kraft.
Sie gab ein Geräusch von sich, das er sein ganzes Leben nicht vergessen würde – halb Schrei, halb Aufheulen. »Sie haben meinen Bruder umgebracht«, sagte sie, ihr Herz brach in ihrer Stimme. »Sie haben meinen Bruder umgebracht, ich habe Sie gesehen.«
Shaun stand vor ihr, das Paketband baumelte blöd an seinem Finger, und die junge Frau schluchzte. »Ihren … Bruder?«
Sie nickte.
»Sie sind Millie van der Hoeven?«
Sie nickte.
Er war vollkommen verwirrt. Was ging hier vor? War er in irgendeine kranke Sadomasogeschichte geraten? »Was, zum Teufel, hatte er mit Ihnen vor?«, fragte er.
Ihr Angriff überraschte ihn. Er fiel schwerfällig nach hinten, als Millie ihn ansprang. Da ihre Hände auf den Rücken gefesselt waren, versuchte sie, ihn mit dem Kopf zu schlagen. Er stieß sie grob zurück und kam auf die Beine.
»Er hat versucht, mich zu retten«, sagte sie mit von Trauer und Zorn verzerrter Stimme.
»Wovon, zum Teufel, reden Sie?« Shauns Verwirrung setzte sich in seinem Bauch als Schmerz und Wut fest. Er hatte das Mädchen gerettet, verdammt. Sie könnte wenigstens ein bisschen Dankbarkeit zeigen und nicht versuchen, ihn mit dem Schädel bewusstlos zu prügeln. »Sie haben ihn doch zu Boden geschickt, als er durch die Tür trat! Erzählen Sie mir nicht, das wäre ein Rettungsversuch gewesen.«
Sie presste ihre Wange an den Boden. Tränen rannen über ihre Nase und tropften auf das Holz. »Er hatte sein Gesicht maskiert«, sagte sie schon leiser. »Er hatte sein Gesicht maskiert, und er hatte ein Messer, und ich habe ihn nicht erkannt.«
»Ach? Nun, wenn ein maskierter Mann mit einem Messer hinter Ihnen her ist, heißt das im Allgemeinen nicht, dass er vorhat, Sie zu retten.« Er schritt zu dem Rucksack, der neben der Tür lag. Es war derselbe, den van der Hoeven früher am Tag getragen hatte. »Wollen doch mal schauen, was er dabeihatte, sollen wir?« Er öffnete den Reißverschluss und drehte ihn um.
Eine Thermoskanne plumpste heraus, klirrte dumpf über den Holzboden. Zwei Sandwiches folgten. Ein Apfel kullerte heraus, landete auf den Sandwiches. Wie betäubt schüttelte er erneut, und eine Rolle Toilettenpapier prallte auf den Boden. Eine dünne Thermodecke glitt hinterher.
Shaun starrte auf die junge Frau, die auf dem Boden lag. Sie musterte die Lebensmittel und das andere Zeug und dann wieder ihn. »Sie haben meinen Bruder umgebracht«, wiederholte sie.
Er zog sich rückwärts aus dem Raum zurück und knallte die Tür zu. Der Schlüssel. Der Schlüssel. Er krabbelte auf dem Treppenabsatz herum, wo er das Ding hatte hinfallen sehen. Als sich seine Hand darum schloss, seufzte er vor Erleichterung, eher er sich wieder zur Tür wandte und abschloss. Er steckte den Schlüssel ein und dann, ohne dass er sich an den Abstieg erinnerte, stand er draußen vor dem Turm.
Es war noch derselbe Tag wie eben, als er ihn betreten hatte. Die Sonne hatte sich kaum weiter über den Himmel bewegt. Die Bäume, die Ruine, der umgebende Wald – nichts hatte sich verändert, seit er seinen Fuß in den Turm gesetzt hatte.
Abgesehen davon, dass er einen Mann getötet hatte.
Okay. Er würde nicht in Panik geraten.
Er war ein gerissener Mann. Er würde überlegen, was zu tun war und in welcher Reihenfolge. Er überlegte, nach Hause zu fahren und die Polizei anzurufen. Die dann erscheinen und Millie van der Hoevens Aussage aufnehmen würde, wie er ihren Bruder umgebracht hatte, ehe er sie in einer Turmkammer einsperrte. Nein.
Er dachte darüber nach, zuerst seine Anwältin anzurufen, nein, seine Anwältin anzurufen und sich den Namen eines guten Strafverteidigers nennen zu lassen. Der ihm zur Seite stehen würde, wenn die Polizei ihn fragte, wie Eugene van der Hoeven vom Turm gestürzt war. Und warum er die Schwester des Mannes eingesperrt hatte, statt sie zu befreien, wie jeder Unschuldige es getan hätte. O ja, die Gegenwart eines Anwalts würde die Polizei sicher überzeugen, dass Eugenes Tod ein Unfall gewesen war.
Das war es doch?
Er dachte an den Augenblick zurück, an van der Hoevens Gesichtsausdruck, an die Wut und Frustration, die in seinem Inneren getobt, in seinem Kopf gehämmert hatten. Er
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