Das Dunkle Netz Der Rache
sich, dass er aufgab und seine Hände stattdessen unter ihren Körper schob und sie vorwärtsstieß.
Shaun kam schwankend auf Hände und Füße, schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können. Die Frau – das Mädchen, sie wirkte jung genug, um seine Tochter sein zu können – grunzte und ächzte, während van der Hoeven sie weiter von der Tür wegstieß, und er konnte den Knebel sehen, der sie am Schreien hinderte. Sie war noch immer vollständig bekleidet, demnach hatte der Scheißkerl sie bist jetzt noch nicht belästigt –
Van der Hoeven richtete sich auf. Zog einen langen Eisenschlüssel aus der Tasche. Sprang zur Tür. Der Tür mit dem dekorativen Schloss, das, wie Shaun bewusst wurde, voll funktionsfähig sein musste. Der Scheißkerl wollte ihn einsperren.
Es war über dreißig Jahre her, aber bei Gott, er wusste, wie man angriff. Eugene ging zu Boden, halb drinnen, halb draußen. Der Schlüssel schlug auf Holz, irgendwo hinter seinem Kopf, aber sobald Shaun seinen Griff lockerte, um aufzustehen, trat ihm van der Hoeven ins Gesicht. Shaun heulte auf und bedeckte seine Nase, Blut rann zwischen seinen Fingern hervor. Eugene war über ihm, schlagend, kratzend, kreischte: »Lassen Sie sie in Ruhe! Ich beschütze sie! Lassen Sie sie in Ruhe!«
Brüllend drang Shaun auf ihn ein, nutzte sein Gewicht, um van der Hoeven abzuwehren. »Geben Sie mir den verdammten Schlüssel«, knurrte er.
Van der Hoeven rollte sich weg, schneller als Shaun für möglich gehalten hätte, und seine Hand schloss sich über dem Schlüssel. Er rollte weiter, wich Shauns Angriff aus, rappelte sich auf. Er riss das Bein hoch, wie ein Kind beim Fußball, und traf Shauns Brustkorb. Die Luft entwich so rasch, dass Shaun glaubte, ein Lungenflügel wäre kollabiert, und sein Herz – er griff sich an die Brust. Allmächtiger, hatte er einen Herzinfarkt?
»Sie sollen abhauen!« Eugene stürzte sich auf ihn. Shaun, noch immer um sein Gleichgewicht kämpfend und außer Atem, wehrte den Schlag kraftlos ab. »Hauen Sie ab!« Wieder drang er auf Shaun ein, trieb ihn stolpernd durch die offene Tür.
Shaun versuchte, van der Hoeven aufzufordern, das Mädchen gehen zu lassen, aber er bekam immer noch keine Luft, und alles, was er herausbrachte, war: »Lass … Mädchen …« und stoßweises Keuchen.
»Sie ist zu ihrem Schutz hier«, sagte Eugene, und seine Hand schloss sich um den Türrahmen, und Shaun sah es kommen, sah, wie er von diesem Verrückten eingesperrt wurde, von diesem beschissenen Sohn eines Reichen, der sich in den Wäldern versteckte, damit niemand erkannte, wie krank er war. Wut und Zorn stiegen in ihm hoch, bis sie an seiner Haut zerrten und nicht einmal die Schranken seines Körpers sie noch zurückhalten konnten, und er schwoll an, stürzte vor und warf sich gegen van der Hoeven, mit all der Macht, mit der sein siebzehnjähriges Ich sich damals in die Reihen der Defense gestürzt hatte, und der Schlüssel flog aus van der Hoevens Hand, und Shaun brüllte, und sie krachten gegen etwas Hartes, Unnachgiebiges und van der Hoeven kippte –
– und einen Augenblick, ehe die Schwerkraft ihn überwältigte, sah er Shaun aus angsterfüllten Augen an, flehte, flehte –
Shaun stieß zu. Eugene stürzte über das Geländer, kreischte, kreischte, dann ein dumpfer Aufprall, und die Schreie erstarben.
13:15 Uhr
Shaun starrte auf die reglose Gestalt, die Eugene van der Hoeven gewesen war. Die Luft war von Geräuschen erfüllt: das Rauschen und Rascheln des Windes in den Novemberbäumen, das Krächzen der Raben, ein rhythmisches ersticktes Schluchzen hinter ihm. Er aber starrte hinab in einen Brunnen des Schweigens, auf eine Stelle, an der Klang und Bewegung und Leben geschluckt wurden und erstarben.
Er starrte und starrte, wartete auf das Zucken eines Arms, ein Heben der Brust, wusste, während er es tat, dass nichts davon eintreten würde. Das rhythmische Geräusch bohrte sich den Weg in seinen erstarrten Verstand, erst ein Weinen, dann ein Ärgernis, und endlich, als sein Verstand sich regte und die lebende Welt sich über dem Brunnen schloss, Furcht.
Er wirbelte herum. Die Blondine in der Zelle hatte sich über den Boden gewunden und arbeitete sich an der gegenüberliegenden Wand in eine stehende Haltung. Er traf ihren Blick und erkannte, wie verängstigt sie war.
»Alles ist gut«, sagte er, während er sich näherte. So wie sie sich gegen die Wand presste, fühlte er sich wie ein verächtlicher Wurm. »Wirklich. Alles ist
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