Das dunkle Paradies
wisst. Nur unablässige Wachsamkeit wird uns in eine hellere Zukunft führen. Eure Nachbarn müssen wissen, dass ihr sie beobachtet. Nur so werden wir wirklich sicher sein.«
»Wie lange geht das noch so weiter?«, fragt Davy und gibt Deadfall versehentlich die Sporen, woraufhin sie einen Schritt vorwärts macht und Davy sie am Zügel zurückreißt. »Es ist beschissen kalt hier draußen.«
Angharrad tritt von einem Fuß auf den anderen. Gehen? , fragt ihr Lärm und ihr Atem wird zu schweren weißen Wölkchen in der kalten Luft. »Gleich«, sage ich und streichle über ihre Flanke.
»Mit sofortiger Wirkung«, fährt der Bürgermeister fort, »beginnt die abendliche Ausgangssperre zwei Stunden später, und die Besuchszeiten für eure Frauen und Mütter werden um dreißig Minuten verlängert.«
Unter den Männern sieht man einige zustimmend nicken, einige Frauen weinen vor Erleichterung.
Ich glaube, sie sind dankbar. Sie sind dem Bürgermeister dankbar.
Wenn das nichts ist.
»Schließlich«, verkündet der Bürgermeister, »freue ich mich, euch mitteilen zu können, dass ein neues Ministerium geschaffen wurde, eines, das uns vor den Bedrohungen der Antwort schützt. Dieses Ministerium wird dafür sorgen, dass es auf diesem Planeten keine Geheimnisse mehr gibt. Es wird jeden umerziehen, der versucht unsere Lebensweise zu untergraben. Es wird uns gegen jene verteidigen, die unsere Zukunft stehlen wollen.«
Der Bürgermeister macht eine Pause, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
»Heute heben wir das Amt für Anhörung aus der Taufe.«
Davy erhascht meinen Blick und tippt mit dem Finger auf das auffällige silberne A, das auf den Schulterstücken unserer neuen Uniformen prangt, das A, das der Bürgermeister eigens ausgewählt hat, weil man damit alles Mögliche in Verbindung bringen kann.
Davy und ich sind jetzt Mitarbeiter des Amts für Anhörung .
Ich kann seine Begeisterung nicht teilen.
Aber das liegt daran, dass ich überhaupt nicht mehr viel fühle.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.
»Gute Rede, Pa«, sagt Davy. »Vor allem lang.«
»Ich habe sie nicht für dich gehalten«, sagt der Bürgermeister, ohne ihn anzusehen.
Wir reiten zu dritt auf der Straße, die zum Kloster führt.
Doch das Kloster gibt es nicht mehr.
»Es ist alles fertig, hoffe ich?«, fragt der Bürgermeister. »Ich lasse mir nicht gern nachsagen, ich sei ein Lügner.«
»Und wenn du noch so oft fragst, es wird davon nicht schneller fertig«, murmelt Davy vor sich hin.
Der Bürgermeister schaut ihn jetzt an, er legt seine Stirn in Falten, aber ich fange an zu reden, ehe er jemanden mit seinem Lärm niederschlägt.
»Es ist so weit wie möglich fertiggestellt«, sage ich mit tonloser Stimme. »Die Wände und das Dach stehen, aber innen muss noch …«
»Kein Grund, so verdrießlich zu sein, Todd«, antwortet der Bürgermeister. »Der Innenausbau kann zügig erfolgen. Das Gebäude steht, und das ist alles, was zählt. Die Leute können es von außen betrachten und dabei zittern.«
Er reitet jetzt voraus, kehrt uns den Rücken zu, aber ich spüre, wie er bei dem Wort »zittern« vor sich hin lächelt.
»Kriegen wir auch eine Rolle in diesem Spiel?«, fragt Davy, dessen Lärm immer noch ungestüm klingt. »Oder sollen wir nur wieder den Babysitter machen?«
Der Bürgermeister wendet Morpeth und stellt sich uns in den Weg. »Hast du je gehört, dass sich Todd so beklagt hätte?«, fragt er.
»Nein, hat er nicht«, antwortet Davy mürrisch. »Aber Todd ist eben Todd.«
Der Bürgermeister zieht die Augenbrauen hoch. »Und?«
»Und ich bin dein Sohn.«
Der Bürgermeister reitet auf uns zu und Angharrad weicht zurück. Unterwirf dich , sagt Morpeth, Führe mich , sagt Angharrad und senkt den Kopf. Ich streiche über ihre Mähne und versuche sie zu beruhigen.
»Ich will dir etwas Interessantes erzählen, David«, sagt der Bürgermeister und schaut ihn scharf an. »Die Offiziere, die Soldaten, die Menschen in der Stadt, sie sehen, wie ihr beide in euren neuen Uniformen gemeinsam einherreitet, mit neuen Machtbefugnissen, und sie wissen, dass einer von euch mein Sohn ist.« Jetzt ist er beinahe gleichauf mit Davy und drängt dessen Pferd rückwärtszugehen. »Und wenn sie sehen, wie ihr vorbeireitet, wenn sie sehen, wie ihr eurer Arbeit nachgeht, wen, glaubst du, halten sie für meinen Sohn? Ich will es dir sagen: Sie halten sehr oft den Falschen für mein eigen Fleisch und Blut.«
Der Bürgermeister blickt zu mir
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