Das dunkle Paradies
ich alleine lernte, sondern alle Patienten, denen es gut genug ging, dass sie mitmachen konnten, und das waren die meisten, mehr, als man hätte denken mögen. Wir lernten, wie man ein Gewehr lädt und abfeuert, wie man in ein Gebäude eindringt, sich nachts fortbewegt, Spuren liest und sich mit Handzeichen und Geheimwörtern verständigt.
Wie man eine Bombe verdrahtet und hochgehen lässt.
»Woher wisst ihr so gut darüber Bescheid?«, fragte ich eines Abends beim Essen, während mein Körper vom Rennen und Bücken und Schleppen erschöpft war und schmerzte. »Ihr seid doch Heilerinnen. Woher wisst ihr …«
»Wie man eine Armee führt?«, fragte Mistress Coyle zurück. »Du vergisst den Krieg gegen die Spackle.«
»Wir haben eine eigene Abteilung gebildet«, ergänzte Mistress Forth, die etwas weiter weg am Tisch saß und ein wenig Brühe schlürfte. Die Heilerinnen redeten wieder mit mir, seit sie sich davon überzeugt hatten, wie sehr ich mich anstrengte.
»Aber wir waren nicht sonderlich beliebt«, kicherte Mistress Lawson, die ihr gegenübersaß.
»Wir waren nicht gerade begeistert über die Art der Kriegsführung, wie sie einige der Generäle ausübten«, erklärte mir Mistress Coyle. »Wir waren überzeugt, dass Widerstand aus dem Untergrund wirkungsvoller sei.«
»Und da wir keinen Lärm hatten«, ergänzte Mistress Nadari am Ende des Tisches, »konnten wir uns überall anschleichen.«
»Aber die Männer, die das Sagen hatten, glaubten nicht, dass wir mit unserer Lautlosigkeit die ›Antwort‹ auf ihre Probleme wären«, erzählte Mistress Lawson und hörte dabei nicht auf zu kichern.
»Daher der Name«, sagte Mistress Coyle.
Mistress Forth nickte. »Und als die neue Regierung gebildet und die Stadt wieder aufgebaut war, da wäre es doch unvernünftig gewesen, wichtige Mittel aus der Hand zu geben, vielleicht konnte man sie ja wieder einmal brauchen.«
»Den Sprengstoff im Bergwerk«, sagte ich, denn endlich ging mir ein Licht auf. »Ihr habt ihn also dort schon vor Jahren versteckt.«
»Es hat sich gezeigt, welch kluger Entschluss das damals war«, sagte Mistress Lawson. »Nicola Coyle war schon immer eine Frau, die weit vorausdachte.«
Ich zuckte zusammen, als ich den Namen »Nicola« hörte, für mich war es fast unvorstellbar, dass Mistress Coyle überhaupt einen Vornamen hatte.
»Nun, Männer sind Krieger«, sagte Mistress Coyle. »Man tut gut daran, das nie zu vergessen.«
Wie erwartet, liegt unser Angriffsziel verlassen vor uns. Trotz seiner bescheidenen Ausmaße ist seine Bedeutung umso größer, denn es handelt sich um einen Brunnen östlich der Stadt, oberhalb von einem Streifen Ackerland. Der Brunnen und seine technischen Anlagen dienen nur dazu, das unterhalb gelegene Land zu bewässern, es gibt kein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, keinen Gebäudekomplex. Aber wenn die Stadt weiterhin nichts dagegen unternimmt, dass der Bürgermeister Menschen einsperrt, foltert und tötet, dann wird die Stadt bald nichts mehr zu essen haben.
Unser Ziel liegt auch ein gutes Stück vom Stadtzentrum entfernt, also werde ich keine Chance haben, Todd zu sehen.
Aber darüber beklage ich mich nicht. Wenigstens im Augenblick nicht.
Wir haben einen versteckten Pfad genommen und sind dann im Straßengraben weitergeschlichen. Jetzt halten wir den Atem an, als wir an einem Bauernhaus vorbeikommen, in dem alle Bewohner schlafen. Im oberen Stockwerk brennt zwar noch ein Licht, aber es ist schon sehr spät, wahrscheinlich hat man es nur aus Sicherheitsgründen brennen lassen.
Mistress Coyle gibt mir wieder ein Handzeichen. Ich folge ihr, ducke mich unter ein Metallgestell, auf dem Wäsche zum Trocknen hängt. Ich trete auf einen Kinderroller, finde aber gerade noch rechtzeitig das Gleichgewicht wieder.
Die Bombe, so hat man mir gesagt, soll unempfindlich gegen Erschütterungen sein.
So hat man mir gesagt.
Ich atme tief durch und gehe weiter.
Während der Wochen, in denen wir untergetaucht waren, mieden wir die Nähe der Stadt. Das war die Zeit, in der wir uns vorbereiteten. Aber selbst in jenen Tagen fanden uns ein paar Flüchtlinge aus der Stadt.
»Was erzählt man sich?«, fragte Mistress Coyle.
»Dass ihr alle Spackle getötet habt«, gab die Frau zur Antwort und hielt sich eine Kompresse an die blutende Nase.
»Wie?«, fragte ich. »Alle Spackle sind tot?«
Die Frau nickte.
»Und man sagt, wir seien es gewesen«, wiederholte Mistress Coyle.
»Wie können sie so etwas behaupten?«,
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