Das dunkle Paradies
herüber. »Sie sehen Todd, wie er seinen Pflichten mit großem Ernst nachgeht, sie sehen seine bescheidene Miene und seinen ernsten Blick, seine ruhige Art. Sie bemerken die Reife, mit der er seinen Lärm beherrscht, und sie kommen überhaupt nicht auf den Gedanken, dass in Wirklichkeit sein lauter, nachlässiger, vorlauter Freund mein Sohn ist.«
Davy beißt die Zähne zusammen, sein Lärm schäumt. »Er sieht dir ja nicht mal ähnlich.«
»Ich weiß«, antwortet der Bürgermeister. Er wendet sein Pferd. »Ich dachte nur, es würde dich interessieren. Ich dachte, es würde dich interessieren, wie oft das passiert.«
Wir reiten weiter. Davy, dessen Lärm wie ein roter Sturm tobt, lässt Deadfall hinterhertrotten. Ich reite mit Angharrad in der Mitte, während der Bürgermeister vorausgaloppiert.
»Braves Mädchen«, flüstere ich Angharrad zu.
Menschenfohlen , sagt sie, und dann denkt sie: Todd.
»Ja, Mädchen«, flüstere ich zwischen ihren Ohren. »Ich bin doch da.«
An den Abenden bleibe ich noch lange im Stall, nehme ihr selbst den Sattel ab, striegle ihr die Mähne und bringe ihr Äpfel zum Fressen. Das Einzige, was sie von mir will, ist die Gewissheit, dass ich noch Teil ihrer Herde bin, und solange das so ist, ist sie glücklich, und dann sagt sie Todd zu mir, und ich muss ihr nichts erklären, muss sie nichts fragen, sie will nichts weiter von mir.
Nur, dass ich nicht weggehe.
Nur, dass ich niemals weggehe.
Mein Lärm verdüstert sich und ich muss wieder denken: ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.
Der Bürgermeister dreht sich nach mir um. Und lächelt.
Obwohl wir Uniformen tragen, gehören wir nicht zur Armee, darauf legt der Bürgermeister besonderen Wert. Wir haben auch keinen Dienstgrad, dafür aber die Uniform und das A auf den Schulterstreifen, und das genügt, damit uns die Leute aus dem Weg gehen, jetzt, da wir auf das Kloster zureiten.
Bislang bestand unsere Arbeit darin, die Männer und Frauen (meist sind es Frauen), die noch im Gefängnis sind, zu bewachen. Aber nachdem die Gefängnisse zerstört worden waren, hat man die verbliebenen Gefangenen in ein ehemaliges Haus der Heilung verlegt. Dreimal darfst du raten, in welches.
Während des vergangenen Monats haben Davy und ich die Arbeitstrupps von Gefangenen auf ihrem Weg vom Haus der Heilung zum Kloster und zurück bewacht, sie sollten die von den Spackle begonnene Arbeit beenden, weil Männer und Frauen schneller arbeiten als Spackle. Diesmal hat der Bürgermeister uns nicht befohlen, die Bauarbeiten zu überwachen, und darüber bin ich froh.
Wenn abends alle wieder ins Haus der Heilung zurückgekehrt sind, haben Davy und ich nicht mehr viel zu tun, außer um die Gebäude herumzureiten und uns zu bemühen, die Schreie, die aus dem Gefängnis nach draußen dringen, zu überhören.
Einige der Insassen gehören zur Antwort , es sind diejenigen, die der Bürgermeister in jener Nacht festnehmen ließ. Wir bekommen sie nie zu Gesicht, sie werden nicht mit den anderen zur Arbeit geschickt, sie werden nur den ganzen Tag lang »angehört«, bis sie irgendetwas sagen. Alles, was der Bürgermeister bis jetzt aus ihnen herausquetschen konnte, ist, dass ihr Camp sich in der Nähe eines Bergwerks befindet, das aber aufgegeben wurde, ehe die Soldaten dorthin kamen.
Auch andere sitzen noch ein, sie wurden für schuldig befunden, die Antwort oder sonst wen unterstützt zu haben. Diejenigen, die ausgesagt haben, dass sie gesehen hätten, wie die Antwort die Spackle tötete und wie die Frauen das A auf die Wand schmierten, wurden allerdings freigelassen und durften zu ihren Familien zurückkehren. Sogar wenn völlig ausgeschlossen ist, dass sie es mit eigenen Augen gesehen haben können.
Die Übrigen, nun ja, die werden so lange weiter »angehört«, bis sie eine Antwort geben.
Davy redet laut, um die Schreie zu übertönen, während drinnen die Anhörungen weitergehen, er tut, als mache es ihm nichts aus, aber jeder Blinde sieht, dass es ihm etwas ausmacht.
Ich ziehe mich in mich selbst zurück, schließe die Augen und warte nur darauf, dass das Schreien aufhört.
Für mich ist es einfacher als für Davy.
Denn, wie ich schon gesagt habe, ich fühle nicht mehr viel, jetzt nicht mehr.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.
Aber heute soll alles anders werden. Heute ist das neue Gebäude fertig oder vielmehr halb fertig, und Davy und ich sollen es nun anstelle des Hauses der Heilung bewachen und dabei vermutlich lernen, wie
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