Das dunkle Paradies
einer kleinen Box gesattelt wird, sein Lärm spiegelt die Gesichter der Frauen, die wir markiert haben, er hallt nur so wider von ihren verzweifelten Schmerzensschreien.
Und von dem, was sie zu uns sagen.
»Und wenn sie weglaufen«, fährt der Bürgermeister fort, »dann kommen sie natürlich auch wieder zurück.«
Er meint: mit Bomben. In den vergangenen zwei Wochen ist beinahe in jeder Nacht eine Bombe explodiert, aus irgendeinem Grund häufen sich die Anschläge, offensichtlich bereiteten sie etwas vor, und nie hat man auch nur eine Frau gefasst, nur einmal, als ein Sprengsatz hochging, als die Frau noch damit hantierte. Sie war natürlich völlig zerfetzt, eigentlich hat man nur noch Stoffreste gefunden.
Ich schließe die Augen, als ich daran denke.
Ich fühle nichts. Lasse nichts an mich heran.
(War sie es?)
Ich fühle nichts nichts nichts.
»Du willst, dass wir allen Frauen die Bänder anlegen?«, fragt Davy noch einmal leise und vermeidet es, seinen Pa dabei anzusehen.
»Das habe ich doch schon gesagt«, seufzt der Bürgermeister. »Jede Frau gehört zur Antwort , und wenn es nur aus dem Grund ist, weil sie eine Frau ist und deshalb Mitleid mit anderen Frauen hat.«
Die Stallknechte führen Angharrad zu einem Sattelplatz in der Nähe. Sie reckt den Kopf über das Gatter und stupst mich mit der Nase an. Todd , sagt sie.
»Sie werden Widerstand leisten«, sage ich und streichle über Angharrads Kopf. »Auch die Männer werden dagegen sein.«
»Ach, ja«, sagt der Bürgermeister, »du warst ja nicht auf der Kundgebung gestern.«
Davy und ich sehen einander an. Gestern waren wir den ganzen Tag bei der Arbeit, von einer Kundgebung haben wir nichts gehört.
»Ich habe zu den Männern von New Prentisstown gesprochen«, erzählt er. »Von Mann zu Mann. Ich habe ihnen erklärt, welch große Bedrohung von der Antwort ausgeht und dass die Nummerierung der Frauen für unser aller Sicherheit nötig ist.« Er streichelt Angharrads Hals. Ich versuche zu verbergen, wie gereizt mein Lärm bei diesem Anblick ist. »Keiner hatte etwas dagegen.«
»Auf dieser Kundgebung waren sicher keine Frauen«, sage ich.
Er schaut mich an. »Ich werde doch unseren Feind nicht einladen, weshalb sollte ich das tun?«
»Aber es sind, verdammt noch mal, Tausende!«, sagt Davy. »Ihnen allen Bänder anzulegen, dauert ewig.«
»Ihr werdet nicht alleine arbeiten, David«, antwortet der Bürgermeister leise, damit sein Sohn ihm auch ja zuhört. »Aber ich bin sicher, dass ihr schneller arbeiten werdet als alle anderen beim Amt für Anhörung .«
Davys Lärm hellt sich ein wenig auf. »Darauf kannst du wetten, Pa«, sagt er.
Dann schaut er mich an.
Und ich sehe die Sorge in seinem Lärm.
Ich streichle wieder über Angharrads Nüstern. Die Stallknechte führen Morpeth heraus, frisch gebürstet und mit glänzendem Fell. Unterwirf dich , sagt er.
»Wenn ihr Bedenken habt«, sagt er, »dann stellt euch einmal diese Frage.« Er schwingt sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung in den Sattel, biegsam wie eine Gerte. »Warum sollte eine unschuldige Frau etwas dagegen haben, wenn man sie an ihrer Nummer erkennt?«
»Das kannst du doch nicht machen.« Die Frau versucht ihre Stimme fest klingen zu lassen.
Mr Hammar hinter uns entsichert sein Gewehr und richtet den Lauf auf den Kopf der Frau.
»Bist du blind?«, fragt Davy die Frau etwas zu schrill. »Du siehst doch, dass ich es machen kann.«
Mr Hammar lacht.
Davy dreht mit einem strammen Ruck den Nietapparat. Das Band schnappt zu, gräbt sich in die Haut der Frau, etwa in die Mitte ihres Unterarms. Sie schreit auf, presst die Hand auf das Band und fällt vornüber, fängt den Sturz jedoch mit der gesunden Hand ab. Eine Weile bleibt sie keuchend auf dem Boden liegen.
Ihre Haare sind zu einem festen Knoten zurückgebunden, sie sind hellbraun und dunkelbraun, wie die Kabel an der Rückseite eines Videogerätes. Am Hinterkopf hat sie eine graue Strähne, sie sieht aus wie ein Fluss in einem staubigen Land. Ich starre darauf, aber die Strähne verschwimmt vor meinen Augen.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH .
»Steh auf«, herrscht Davy die Frau an. »Dann können sich die Heilerinnen um dich kümmern.« Er dreht sich um, blickt auf die lange Schlange von Frauen, die sich durch die ganze Halle bis zu den Gemeinschaftsschlafräumen zieht, alle stehen sie da und warten, bis sie an die Reihe kommen.
»Der Junge hat gesagt, du sollst aufstehen«, sagt Mr Hammar und
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