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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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nicht furchtbar?«
    »Anstrengender Tag?«, fragt mich Bürgermeister Ledger, als ich wieder in unser gemeinsames Gefängnis zurückkomme. Er sagt es auf eine seltsam heitere Art und lässt mich dabei nicht aus den Augen.
    »Was kümmert’s dich?« Ich werfe meine Tasche auf den Boden und lasse mich aufs Bett fallen, ohne meine Uniform auszuziehen.
    »Ich stelle es mir anstrengend vor, den ganzen Tag lang Frauen zu quälen.«
    Überrascht hebe ich den Kopf. »Ich quäle sie nicht«, knurre ich. »Also halt’s Maul, was das angeht.«
    »Nein, natürlich quälst du sie nicht. Wie komme ich nur darauf? Du befestigst lediglich ein mit Chemikalien getränktes Metallband auf ihrer Haut, und wenn sie versuchen es zu entfernen, dann verbluten sie. Wie kann man das nur als Quälerei bezeichnen?«
    »Hey!« Ich setze mich aufrecht. »Wir erledigen das schnell und schmerzlos. Man könnte viel grausamer dabei sein, aber das sind wir nicht. Wenn es schon getan werden muss, dann ist es am besten, wir tun es.«
    Er verschränkt die Arme vor der Brust und er klingt aufgekratzt, als er fragt: »Wird dich diese Ausrede heute Nacht besser schlafen lassen?«
    Mein Lärm schwappt hoch. »Ach ja?«, sage ich. »Du warst es also, der dem Bürgermeister gestern bei der Kundgebung den Applaus verweigert hat? Du warst also der Mutige, der ihm widersprochen hat?«
    Seine Miene verdüstert sich und ich höre dunkelgrauen Ärger in seinem Lärm. »Um mich deshalb erschießen zu lassen?«, ruft er. »Oder mich zum Verhör schleppen zu lassen? Wem wäre damit geholfen?«
    »Das ist es also, was du willst?«, frage ich ihn. »Helfen?«
    Er antwortet nicht darauf, sondern dreht sich um und schaut aus einem der Fenster auf die wenigen Lichter, die von den wichtigen Plätzen und Gebäuden herkommen, er blickt hinaus auf das Dröhnen einer Stadt, die sich fragt, wann wohl die Antwort ihren großen Angriff starten wird, wo es losgeht und wie schlimm es wird und wer sie retten wird.
    Mein Lärm ist laut und rot. Ich schließe die Augen und hole tief, tief Luft.
    ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH .
    Ich fühle nichts, ich lasse nichts an mich heran.
    »Sie haben sich mit ihm abgefunden«, sagt Bürgermeister Ledger und schaut zum Fenster hinaus. »Sie scharen sich schon hinter ihm, denn was sind schon ein paar Stunden Ausgangssperre im Vergleich zu der Angst, in die Luft gejagt zu werden? Trotzdem ist es ein taktischer Fehler.«
    Ich schaue ihn verwundert an, als er »taktisch« sagt, denn ich finde, es ist ein seltsames Wort.
    »Die Männer haben jetzt Angst«, redet er weiter. »Sie haben Angst, dass sie die Nächsten sind.« Er schaut auf seinen eigenen Unterarm und reibt über die Stelle, an der die Bänder üblicherweise angebracht werden. »Politisch betrachtet, hat er einen Fehler begangen.«
    Ich schaue ihn schräg von der Seite an. »Was interessiert es dich, ob er einen Fehler macht? Auf wessen Seite stehst du eigentlich?«
    Er sieht mich an, als hätte ich ihn eben zutiefst beleidigt, was ich wahrscheinlich auch getan habe. »Auf der Seite der Stadt«, schäumt er. »Und auf wessen Seite stehst du, Todd Hewitt?«
    Es klopft an der Tür.
    »Das Abendessen rettet dich«, sagt Bürgermeister Ledger.
    »Sie klopfen nicht an, wenn sie das Abendessen bringen«, sage ich und stehe auf. Mit meinem Schlüssel – tschack! – schließe ich die Tür auf.
    Davy steht davor.
    Zuerst sagt er kein Wort, er schaut sich nur nervös um, blickt hierhin und dorthin. Bestimmt hat es ein Problem in den Frauenunterkünften gegeben. Ich seufze und gehe wieder zu meinem Bett, um meine Sachen zu holen. Ich habe in der Zwischenzeit noch nicht mal meine Stiefel ausziehen können.
    »Warte einen Moment«, sage ich zu ihm. »Angharrad frisst noch. Ihr wird es nicht gefallen, wenn sie gleich wieder gesattelt wird.«
    Er schweigt, deshalb werfe ich ihm einen prüfenden Blick zu. Er weicht meinem Blick aus. »Was ist los?«, frage ich.
    Er beißt sich auf die Lippe, und in seinem Lärm lese ich Verlegenheit und Fragezeichen und Wut darüber, dass Bürgermeister Ledger hier ist, und hinter all dem ein sonderbares, heftiges Gefühl, fast so etwas wie Schuld.
    Dann unterdrückt er dieses Gefühl und an seine Stelle treten wieder Wut und Verlegenheit.
    »Scheiß Schweinebacke!«, sagt er mehr zu sich selbst. Er zerrt ärgerlich an seinem Schulterriemen und ich sehe, dass er eine Tasche dabeihat. »Scheiß …«, wiederholt er, bringt den Satz aber nicht zu Ende. Er

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