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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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sie. Vielleicht ist die Frau noch bei Bewusstsein vor der Operation.«
    »Dann lass uns gehen«, sagt Mistress Coyle und sie machen sich zum Lazarettzelt auf. Ich will ihnen folgen, aber Mistress Coyles Blick lässt mich unwillkürlich innehalten. »Du nicht, mein Mädchen.«
    »Warum nicht?«
    Die beiden gehen einfach davon und lassen mich in der Kälte stehen.
    »Geht’s dir gut, Hildy?«, fragt Wilf, als er mich zwischen den Ochsen herumlaufen sieht. Er striegelt sie dort, wo ihnen das Zuggeschirr angelegt wird. Wilf , sagen sie.
    Das ist so ziemlich alles, was sie überhaupt sagen.
    »Es war eine harte Nacht«, antworte ich. »Wir haben eine Frau gerettet, die mit einem Metallband am Unterarm markiert war.«
    Wilf blickt eine Weile gedankenverloren drein. Er zeigt auf die Bänder, die jeder Ochse am rechten Vorderbein trägt. »So was?«
    Ich nicke.
    »Bei Menschen?« Er pfeift erstaunt durch die Zähne.
    »Alles wird anders, Wilf«, sage ich. »Alles wird schlechter.«
    »Weiß ich«, sagt er. »Wir werden bald von hier weggehen, und das wird’s dann gewesen sein, so oder so.«
    »Weißt du, was sie vorhat?«
    Er schüttelt den Kopf und fährt mit der Hand über das Metallband eines Ochsen. Wilf , sagt der Ochse.
    »Viola!«, ruft jemand quer durchs ganze Lager.
    Wilf und ich sehen Mistress Coyle auf uns zueilen.
    »Sie wird noch alle aufwecken«, sagt Wilf.
    »Sie ist noch ein wenig benommen«, warnt Mistress Nadari, als ich neben der Pritsche der geretteten Frau niederknie. »Ich gebe dir eine Minute, höchstens.«
    »Erzähl ihr, was du uns erzählt hast«, bittet Mistress Coyle die Frau. »Nur noch einmal, dann lassen wir dich schlafen.«
    »Mein Arm?«, fragt die Frau und ihre Augen sind trüb. »Er tut gar nicht mehr weh.«
    »Erzähl ihr einfach, was du uns gesagt hast, meine Liebe«, wiederholt Mistress Coyle und ihre Stimme klingt so teilnahmsvoll wie nur möglich. »Dann wird alles wieder gut.«
    Unsere Blicke treffen sich für einen kurzen Moment, die Augen der Frauen werden groß. »Du bist es«, sagt sie. »Das Mädchen, das mich gefunden hat.«
    »Ich heiße Viola«, sage ich und berühre ihren gesunden Arm.
    »Wir haben nicht viel Zeit, Jess.« Die Stimme von Mistress Coyle wird strenger, sie spricht die Frau eindringlich mit ihrem Namen an. »Sag es ihr.«
    »Was soll sie mir sagen?«, frage ich leicht verärgert. Es ist grausam, die arme Frau wachzuhalten, und ich will gerade etwas dergleichen sagen, als Mistress Coyle fortfährt: »Sag ihr, wer dir das angetan hat.«
    Jess reißt entsetzt die Augen auf. »Oh«, stöhnt sie, »oh, oh.«
    »Sag’s ihr und wir lassen dich in Frieden«, beharrt Mistress Coyle.
    »Was soll das?«, frage ich und werde langsam wütend.
    »Es waren Jungen«, sagt die Frau. »Sie waren noch nicht einmal richtige Männer.«
    Ich halte die Luft an.
    »Welche Jungen?«, fragt Mistress Coyle. »Wie hießen sie?«
    »Davy«, sagt die Frau, die kaum mehr mitkriegt, was um sie herum vorgeht. »Davy hieß der ältere.«
    Mistress Coyle wirft mir einen vielsagenden Blick zu. »Und der andere?«
    »Das war der stillere«, antwortet die Frau. »Er hat nichts gesagt. Er hat nur seine Arbeit gemacht und kein Wort gesagt.«
    »Wie ist sein Name?«, fragt Mistress Coyle stur.
    »Ich muss gehen«, sage ich und stehe auf, denn ich will es nicht hören. Mistress Coyle packt meine Hand und hält mich zurück.
    »Wie heißt er?«, fragt sie wieder.
    Der Atem der Frau geht stoßweise.
    »Das reicht«, fährt Mistress Nadari dazwischen. »Ich wollte das ohnehin nicht …«
    »Nur noch eine Sekunde«, unterbricht Mistress Coyle.
    »Nicola«, warnt Mistress Nadari sie.
    »Todd«, sagt die Frau auf der Pritsche, die Frau, die ich gerettet habe, die Frau mit dem entzündeten Arm, den sie verlieren wird, die Frau, von der ich nun wünschte, sie befände sich auf dem tiefsten Grund des Ozeans, den ich noch nie gesehen habe. »Der andere Junge nannte ihn Todd.«
    »Verschwindet«, sage ich zu Mistress Coyle, die mir aus dem Zelt folgt.
    »Er ist am Leben«, sagt sie, »aber er ist jetzt einer von ihnen.«
    »Seid endlich still!« Ich stampfe durchs Lager, es ist mir egal, wie laut ich bin.
    Mistress Coyle läuft mir hinterher und hält mich am Arm fest. »Du hast ihn verloren, mein Mädchen«, sagt sie. »Falls du ihn überhaupt jemals besessen hast.«
    Ich schlage ihr so schnell und fest ins Gesicht, dass ihr keine Zeit bleibt, sich zu verteidigen. Es ist, als hätte ich gegen einen Baumstamm

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