Das dunkle Paradies
ja nicht, dass ich dich nicht hören kann«, sagt Bürgermeister Ledger. Er fuchtelt wieder mit der Pistole herum und tastet mit der Hand bis ganz auf den Boden meines Rucksacks. Dann hält er plötzlich inne und blickt hoch. »Was ist das?« Er tastet noch ein wenig herum und zieht dann einen größeren Gegenstand aus dem Sack. Zuerst glaube ich, es ist meine Waffe, aber dann schüttelt er es aus dem Sack heraus.
Er steht auf.
Und betrachtet neugierig die Thrace-Bombe in seiner Hand.
Eine Sekunde lang glaube ich, dass das alles gar nicht wahr ist. Eine Sekunde lang traue ich meinen eigenen Augen nicht, denn ich kann nicht glauben, dass das, was ich sehe, eine Bombe ist.
Aber dann stößt Lee neben mir einen leisen Schrei aus und ich verstehe alles. Das Ganze ergibt mit einem Mal den schlimmsten, gottverdammten Sinn.
»Nein«, keuche ich.
Todd wirbelt herum. »Was ist? Was ist los?«
Die Zeit bleibt stehen. Bürgermeister Ledger dreht das Ding in seiner Hand hin und her, und es fängt zu piepsen an, es piepst schnell, das Piepsen wird offenbar ausgelöst, wenn jemand meine Tasche durchsucht und das Ding in die Hand nimmt, der Pulsschlag in seiner Hand soll es in Gang setzen, es ist eine Bombe, von der man ganz genau weiß, dass sie einen zerreißen wird, wenn man sie loslässt.
»Das ist doch …« Bürgermeister Ledger schaut die Bombe an.
Da hat Lee schon seine Hand nach mir ausgestreckt. Er will meinen Arm fassen, damit wir gemeinsam zum Hauptportal rennen können.
»Lauf!«, schreit er.
Aber ich laufe nach vorne anstatt zurück.
Und ich zerre Todd mit mir.
Ich stolpere auf das Zimmer zu, in das der tote Mann gefallen ist.
Bürgermeister Ledger versucht nicht, auf uns zu schießen.
Er macht gar nichts.
Er steht einfach da, während es ihm langsam dämmert …
Und als wir durch die Tür fallen …
… und über den Toten stolpern …
… und uns fest aneinanderdrücken, um uns zu schützen …
… versucht Bürgermeister Ledger, die Bombe wegzuschleudern.
Sie fliegt aus seiner Hand.
Und dann …
Wumm!
… reißt die Bombe ihn in tausend Stücke. Die Wände hinter ihm stürzen ein, und die Hitze der Explosion versengt unsere Kleider und unsere Haare, Trümmer stürzen auf uns herab, und wir zwängen uns unter einen Tisch, aber irgendetwas trifft Todd am Hinterkopf, und ein großer Balken fällt auf meine Fußknöchel, und ich merke, wie sie splittern, und das Einzige, was ich denken kann, während ich diesen unerträglichen Schmerz aus mir herausschreie, ist: Sie hat mich betrogen, sie hat mich betrogen, sie hat mich betrogen. Denn ich sollte Todd nicht retten, ich sollte ihn töten, und den Bürgermeister dazu, wenn alles gut lief.
Sie hat mich betrogen.
Sie hat mich schon wieder betrogen.
Und dann ist es nur noch dunkel.
Etwas später höre ich Stimmen zwischen all dem Staub und all den Trümmern, Stimmen, die sich langsam in meinem vor Schmerzen schwirrenden Kopf breitmachen.
Eine Stimme.
Seine Stimme.
Sie schwebt über mir.
»Schau einer an«, sagt der Bürgermeister. »Wen haben wir denn da.«
TEIL VI
Die Anhörung und die Antwort
35
Viola wird angehört
[TODD]
»Lasst sie in Ruhe!«
Ich schlage mit den Fäusten gegen die Glasscheibe, aber egal, wie sehr ich mich abmühe, sie splittert nicht.
»Lasst sie in Ruhe!«
Ich krächze vor Anstrengung, aber ich schreie weiter, bis meine Stimme endgültig versagt.
»Wenn ihr sie anfasst, dann bring ich euch um!«
Sie haben Viola auf den Rahmen gebunden. Ihre Arme sind nach oben ausgestreckt, die Haut rund um das Metallband ist glühend rot, ihr Kopf liegt zwischen den kleinen, summenden Stäben, die verhindern sollen, dass sie Lärm hört.
Vor ihr ist der mit Wasser gefüllte Bottich, neben ihr steht der Tisch mit den scharfen Instrumenten.
Im Raum ist Mr Hammar, er wartet mit verschränkten Armen, und auch Davy ist da, er sieht nervös von der Tür aus zu. Und auch der Bürgermeister ist da, er geht langsam um sie herum.
Ich kann mich nur noch an den Knall erinnern und daran, dass Bürgermeister Ledger in einer grellen Wolke aus Feuer und Rauch verschwand.
Dann bin ich hier wieder aufgewacht, mit schmerzendem Kopf, über und über verschmiert mit Staub und Dreck und verkrustetem Blut.
Ich bin aufgestanden.
Und da ist sie.
Auf der anderen Seite der Glasscheibe.
Und sie wird angehört.
Ich drücke erneut auf den Knopf und schalte den Lautsprecher ein. »Lasst sie in Ruhe!«
Aber niemand scheint mich überhaupt zu
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