Das dunkle Paradies
hören.
»Ich tue dies mit dem größten Widerwillen, Viola«, sagt der Bürgermeister und schreitet noch immer im Kreis um sie herum. Ihn kann ich in aller Deutlichkeit hören. »Ich dachte, wir könnten Freunde werden, du und ich. Ich dachte, wir hätten eine Abmachung.« Er bleibt vor ihr stehen. »Aber dann jagst du mein Haus in die Luft.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass eine Bombe im Rucksack war«, sagt sie. Ich sehe ihr die Schmerzen an. Überall klebt verkrustetes Blut, sie ist übersät von Schnittwunden und Kratzern.
Aber am schlimmsten sehen ihre Füße aus. Sie hat keine Schuhe an, ihre Knöchel sind angeschwollen, verdreht und schwarz, und ich weiß sofort, der Bürgermeister hat ihr kein Schmerzmittel gegeben.
Ich sehe es in ihrem Gesicht.
Ich sehe, wie sie leidet.
Ich will die Sitzbank hinter mir aufheben, um den Spiegel damit einzuschlagen, aber sie ist fest mit dem Betonfußboden verschraubt.
»Ich glaube dir, Viola«, sagt der Bürgermeister und beginnt wieder umherzugehen. Mr Hammar steht feixend daneben, beobachtet alles, hin und wieder blickt er in den Spiegel, hinter dem, wie er nur zu gut weiß, ich stehe, und dann grinst er noch etwas mehr. »Ich glaube wohl, dass du erschüttert bist, weil Mistress Coyle dich hintergangen hat. Aber es war doch sicher keine Überraschung für dich.«
Viola lässt den Kopf hängen und sagt kein Wort.
»Tu ihr nichts«, flüstere ich vor mich hin. »Bitte, bitte, bitte.«
»Ich würde es gar nicht mal allzu persönlich nehmen«, sagt der Bürgermeister. »Mistress Coyle sah einfach eine Möglichkeit, eine Bombe mitten in meine Kathedrale zu schmuggeln, sie zu zerstören und mich dabei zu töten.«
Er schaut durch den Spiegel zu mir. Ich trommle wieder mit den Fäusten gegen das Glas. Man muss es drinnen hören, aber er beachtet mich einfach nicht.
Nur Davy blickt zu mir, seine Miene ist so ernst, wie ich sie noch nie gesehen habe. Und sogar von hier aus kann ich die Sorge in seinem Lärm hören.
»Du hast ihr eine Gelegenheit verschafft, die sie sich einfach nicht entgehen lassen konnte«, fährt der Bürgermeister fort. »Durch deine große Zuneigung zu Todd konntest du dir Zutritt ins Innere verschaffen, wohin es niemand sonst mit einer Bombe geschafft hätte. Sie hatte wahrscheinlich gar nicht vor, dich zu töten, aber plötzlich war sie da, die Gelegenheit, mich aus dem Weg zu schaffen, und verglichen damit erschienst du ihr wohl entbehrlich.«
Ich blicke in ihr Gesicht.
Ihre Miene ist traurig, unendlich traurig.
Ich spüre ihre Stille wieder, spüre das Verlangen nach ihr und den Verlust, den ich zum ersten Mal – es kommt mir vor, als wäre es ein ganzes Menschenalter her – damals, draußen im Sumpf, verspürt habe. Ich spüre ihn so stark, dass mir die Tränen kommen.
»Viola«, flehe ich. »Bitte, Viola.«
Aber sie blickt nicht einmal auf.
»Wenn du ihr nicht mehr bedeutest, Viola …« Der Bürgermeister bleibt vor ihr stehen, beugt sich zu ihr, sieht ihr in die Augen. »Vielleicht erkennst du jetzt, wer in Wirklichkeit dein Feind ist.« Er macht eine Pause. »Und wer deine wahren Freunde sind.«
Viola erwidert etwas, ganz leise.
»Was hast du gesagt?«, fragt der Bürgermeister.
Sie räuspert sich und sagt dann noch einmal: »Ich bin nur wegen Todd gekommen.«
»Ich weiß.« Der Bürgermeister richtet sich auf und setzt seine Wanderung fort. »Ich habe Todd auch lieb gewonnen. Er ist jetzt wie ein zweiter Sohn für mich.« Er schaut zu Davy hinüber, der rot wird. »Er ist zuverlässig, arbeitet hart und macht sich um die Zukunft dieser Stadt verdient.«
Ich trommle mit den Fäusten gegen die Scheibe. »Halt die Klappe!«, schreie ich. »Halt die Klappe!«
»Wenn er auf unserer Seite steht, Viola«, redet der Bürgermeister weiter, »und deine Mistress gegen dich ist, dann kann es doch keinen Zweifel mehr für dich geben, welchen Weg du einschlagen musst.«
Aber sie schüttelt schon den Kopf, noch ehe er ausgeredet hat. »Ich werde Euch nichts sagen.«
»Aber sie hat dich betrogen«, sagt der Bürgermeister und stellt sich wieder vor sie hin. »Sie hat sogar versucht dich umzubringen.«
Als er das sagt, hebt Viola den Kopf.
Sie blickt ihm direkt in die Augen.
Und sagt: »Nein, sie hat versucht Euch umzubringen.«
Ah, kluges Mädchen.
Mein Lärm schwillt an vor Stolz.
Das ist mein Mädchen.
Der Bürgermeister gibt Mr Hammar ein Zeichen.
Der packt den Rahmen und taucht sie unter Wasser.
»Nein!«, schreie ich und
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