Das dunkle Paradies
kremple den Ärmel hoch. »Drei Monate lang habe ich mich verzweifelt gefragt, weshalb ihr so etwas mit Frauen macht!«
Seine Miene ändert sich schlagartig. Er schreit auf, als spürte er den Schmerz. Er hält sich die Hand vor den Mund, um den Schrei zu unterdrücken, aber sein Lärm ist mit einem Mal schwarz und leer. Er streckt seine andere Hand aus, wagt es jedoch nicht, das Band zu berühren, das Band, das sich nie mehr entfernen lässt, es sei denn, ich verliere meinen Arm. Die Haut ist noch gerötet, und es pocht unter dem Band mit der Nummer 1391, obwohl mich drei Heilerinnen behandelt haben.
»Oh nein«, stöhnt er. »Oh nein.«
Die Tür zum Nebenraum geht auf, und der Mann, der mich eingelassen hat, steckt den Kopf herein. »Alles in Ordnung, Leutnant?«
»Leutnant?«, frage ich.
»Alles bestens«, presst Todd hervor. »Alles bestens.«
Der Mann wartet einen Augenblick, dann geht er wieder in das Zimmer zurück.
»Leutnant?«, frage ich noch einmal leise.
Todd steht vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, und schaut auf den Boden. »Ich war es nicht«, flüstert er heiser. »Ich habe das nicht …« Er deutet, ohne aufzublicken, auf das Band. »Ich habe das nicht gemacht, ich hätte dich doch erkannt.«
»Nein«, sage ich und lese Fürchterliches in seinem Lärm. Ich sehe darin, wie abgestumpft er ist, sehe das Entsetzen, das tief in seinem Inneren begraben ist, und wie er sich gegen die Erinnerung sträubt. »Die Antwort war es.«
Sein Blick ist voller Fragezeichen.
»Es war die einzige Möglichkeit, hierherzugelangen und nach dir zu suchen«, erkläre ich ihm. »Die einzige Möglichkeit, an den Soldaten vorbeizukommen, die in der Stadt patrouillieren, war so zu tun, als hätte ich bereits ein Band.«
Sein Gesichtsausdruck ändert sich, als ihm klar wird, was ich soeben gesagt habe. »Oh Viola.«
Ich atme tief aus. »Todd«, flehe ich ihn an, »bitte, komm mit mir!«
In seinen Augen stehen Tränen, aber ich kann ihn jetzt sehen, ich kann ihn endlich ansehen, ich kann ihm ins Gesicht sehen, ich kann seinen Lärm sehen, und ich sehe seine Arme, die er an seinem Körper herabhängen lässt, als würde er die Waffen strecken. »Es ist zu spät«, sagt er, und seine Stimme klingt dabei so traurig, dass jetzt auch meine Augen feucht werden. »Ich war tot. Ich war tot.«
»Das warst du nicht.« Ich mache vorsichtig einen Schritt auf ihn zu. »Wir leben in einer schrecklichen Zeit.«
Er blickt zu Boden, aber er scheint nichts zu sehen.
Nichts spüren, sagt sein Lärm. Nichts an mich heranlassen.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.
»Todd?« Ich bin ihm jetzt so nahe, dass ich seine Hand ergreifen kann. »Todd, schau mich an.«
Er blickt auf, und das Gefühl des Verlusts, das ich in seinem Lärm höre, ist so groß, es ist, als stünde ich am Rande eines Abgrunds und stürzte geradewegs hinein in eine Schwärze, die so einsam und verlassen ist, dass nie wieder ein Weg aus ihr herausführt.
»Todd …«, sage ich mit brüchiger Stimme, »auf dem Felsvorsprung, unter dem Wasserfall, erinnerst du dich noch, was du dort zu mir gesagt hast? Erinnerst du dich, was du zu mir gesagt hast, um mich zu retten?«
Er schüttelt langsam den Kopf. »Ich habe schreckliche Dinge getan. Schreckliche Dinge.«
»›Wir alle fallen‹, hast du damals gesagt.« Ich halte seine Hand jetzt ganz fest. »Wir alle fallen, aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist, dass wir wieder aufstehn.«
Aber er zieht die Hand weg.
»Nein«, sagt er und wendet sich ab. »Nein, als du nicht hier warst, war es einfacher. Es war einfacher, denn du konntest nicht sehen …«
»Todd, ich bin gekommen, um dich zu retten.«
»Nein. Ich musste mir über nichts Gedanken machen.«
»Es ist noch nicht zu spät.«
»Es ist zu spät«, sagt er und schüttelt den Kopf. »Es ist zu spät.«
Und er geht weg von mir.
Weg von mir.
Ich verliere ihn.
Und dann kommt mir eine Idee.
Eine gefährliche, eine sehr gefährliche Idee.
»Der Angriff erfolgt morgen bei Sonnenuntergang«, sage ich.
Er blickt überrascht auf. »Was?«
»Bei Sonnenuntergang ist es so weit.« Ich schlucke und gehe einen Schritt auf ihn zu, versuche mit fester Stimme zu sprechen. »Ich sollte eigentlich nur den falschen Plan kennen, aber ich habe herausgefunden, welches der richtige Plan ist. Die Antwort wird über den Hügel kommen, den mit der Kerbe auf der Kuppe, der genau im Süden liegt, genau südlich von dieser Kathedrale. Sie werden
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