Das dunkle Paradies
sie hindurch zu ihr kriechen.
»Nun«, sagt der Bürgermeister, verschränkt die Hände hinter dem Rücken und blickt Davy an, »wir wissen vielleicht schon, was wir wissen wollten.«
Er geht zu einem Knopf in der Wand und drückt darauf. »Würdest du bitte wiederholen, was du vorhin gesagt hast, Todd?«
Als sie meinen Namen hört, hebt Viola den Kopf.
Der Bürgermeister geht nun wieder zu dem Gestell zurück, nimmt die kleinen Stäbe rechts und links von ihrem Kopf, die den Lärm dämpfen sollen, weg, und als sie nun meinen Lärm hört, blickt sie sich suchend um.
»Todd?«, fragt sie. »Bist du hier?«
»Ich bin hier!«, schreie ich. Meine Stimme dröhnt so laut durch die Arena, dass jeder sie hören kann.
»Bitte verrate uns doch, was du vor ein paar Augenblicken gesagt hast, Todd. War es nicht etwas, was heute bei Sonnenuntergang passieren sollte?«
Viola schaut in dieselbe Richtung wie er, man kann ihr die Überraschung ansehen, die Überraschung und das Entsetzen. »Nein«, flüstert sie, und ihr Flüstern ist so laut wie ein Schrei.
»Viola hat es verdient, es noch einmal aus deinem Munde zu hören«, sagt der Bürgermeister.
Er wusste es. Er konnte die ganze Zeit über meinen Lärm hören, natürlich konnte er das, er konnte hören, wie ich schrie, auch wenn sie es nicht konnte.
»Viola?«, sage ich flehend.
Sie schaut in den Spiegel, sie sucht mich. »Sag es ihm nicht!«, bittet sie. »Todd, sag es nicht.«
»Sag es, Todd«, befiehlt der Bürgermeister und legt seine Hand an den Rahmen, »oder Viola wird wieder unter Wasser getaucht.«
»Todd, nicht!«, schreit Viola.
»Du Bastard!«, brülle ich. »Ich bring dich um. Ich schwöre es, ich bring dich um!«
»Das wirst du nicht«, sagt er ruhig. »Das weißt du genauso gut wie ich.«
»Todd, bitte, nein …«
»Sag es, Todd. Wo und wann wird es passieren?«
Und er senkt den Rahmen ab. Viola gibt sich Mühe, tapfer zu sein, aber ihr Körper dreht und windet sich, sie versucht alles, um nicht wieder ins Wasser getaucht zu werden. »Nein!«, schreit sie. »Nein!«
»Heute bei Sonnenuntergang«, sage ich, und im Lautsprecher übertönt meine Stimme die ihre, übertönt Davys Lärm, übertönt meinen eigenen Lärm, nur meine Stimme ist zu hören. »Über den Bergsattel, in das Tal südlich der Kathedrale.«
»Nein!«, schreit Viola.
Und der Blick in ihren Augen …
Der Blick, der mir gilt …
Und mein Herz zerspringt.
Der Bürgermeister zieht den Rahmen zurück und stellt ihn aufrecht hin.
»Nein«, flüstert sie.
Und erst jetzt fängt sie wirklich an zu weinen.
»Danke, Todd«, sagt der Bürgermeister, der sich sofort an Mr Hammar wendet: »Jetzt wissen wir, wo und wann, Käpten. Gebt die Befehle an Käpten Morgan, Tate und O’Hare weiter.«
Mr Hammar steht stramm. »Ja, Sir«, sagt er, in einem Ton, als hätte er gerade das große Los gezogen. »Ich werde jeden Mann mitnehmen, den ich aufbieten kann. Der Feind wird nicht wissen, wie ihm geschieht.«
»Nimm meinen Sohn mit«, sagt der Bürgermeister und nickt in Davys Richtung. »Zeig ihm so viel vom Kampf, wie er vertragen kann.«
Davy ist nervös, aber auch stolz und aufgeregt, ihm ist gar nicht aufgefallen, dass Mr Hammar verächtlich den Mund verzogen hat.
»Geht«, befiehlt der Bürgermeister, »und lasst keinen am Leben.«
»Ja, Sir«, antwortet Mr Hammar.
Viola schluchzt leise.
Davy grüßt militärisch, er bemüht sich, seinen Lärm tapfer klingen zu lassen. Er wirft mir einen Blick durch den Spiegel zu, darin liegt Mitleid, und in seinem Lärm ist Angst und Aufregung und noch mehr Angst.
Dann folgt er Mr Hammar nach draußen.
Viola, der Bürgermeister und ich, wir sind jetzt allein.
Ich kann meinen Blick nicht von ihr abwenden, wie sie an dem Rahmen hängt, den Kopf auf der Brust, sie weint, sie ist noch immer festgebunden und ihr Körper trieft vor Nässe, und in ihr ist so viel Trauer, dass ich sie fast körperlich spüre.
»Kümmere dich um deine Freundin«, sagt der Bürgermeister zu mir. Er steht wieder dicht vor der Glasscheibe, sein Gesicht ist ganz nah an meinem. »Ich kehre in mein ausgebranntes Haus zurück, um alles vorzubereiten.« Er verzieht keine Miene, er tut so, als wäre gar nichts geschehen.
Er ist kein Mensch.
»Nur allzu sehr ein Mensch«, sagt er. »Die Wachen werden euch beide in die Kathedrale bringen.« Er zieht die Augenbrauen hoch. »Wir haben viel zu bereden, was eure Zukunft angeht.«
36
Die Niederlage
(VIOLA)
Ich höre, wie
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