Das dunkle Paradies
Todd ins Zimmer kommt, zuerst höre ich, wie sein Lärm näher kommt, aber ich kann nicht aufblicken.
»Viola?«, sagt er.
Ich halte den Kopf noch immer gesenkt.
Es ist vorbei.
Wir haben verloren.
Ich fühle seine Hände auf den Fesseln um meine Handgelenke, er zieht an ihnen, schließlich kann er eine lösen, aber mein Arm ist so steif, weil er nach hinten gebunden war, und deshalb schmerzt er jetzt noch stärker als zuvor.
Bürgermeister Prentiss hat gewonnen. Mistress Coyle wollte mich opfern. Lee wurde gefangen genommen – wenn er nicht schon längst tot ist. Maddys Tod war sinnlos. Corinnes Tod war sinnlos.
Und Todd …
Er tritt vor mich hin, um mir die zweite Fessel abzunehmen, und als er sie gelöst hat und ich von dem Rahmen heruntersinke, fängt er mich auf und kniet sich vorsichtig mit mir auf den Boden.
»Viola?« Er drückt mich fest an sich, mein Kopf lehnt an seiner Brust, das Wasser, das von mir tropft, durchnässt seine staubige Uniform, meine Arme hängen herab, aber ich bin zu schwach, um nach etwas zu greifen, das Metallband an meinem Arm pocht.
Ich blicke auf und sehe das glänzende silberne A auf seiner Schulter.
»Lass mich los«, sage ich.
Aber er lässt mich nicht los.
»Lass mich los«, sage ich lauter.
»Nein«, antwortet er.
Ich will ihn wegschieben, aber meine Arme sind kraftlos, und ich bin so müde, und alles ist aus. Alles ist aus.
Er hält mich immer noch fest.
Ich fange an zu weinen, und ich spüre, wie er mich fester an sich drückt, und ich muss noch mehr weinen, und als ich meine Arme wieder etwas bewegen kann, schlinge ich sie um ihn und weine noch mehr, weil ich ihn spüre und weil ich ihn rieche und weil ich seinen Lärm höre und weil er mich festhält, und ich fühle, wie traurig er ist, wie er sich sorgt, spüre seine Zuneigung und seine Zärtlichkeit …
Bis zu diesem Augenblick wusste ich nicht, wie sehr er mir gefehlt hat.
Aber er hat es dem Bürgermeister gesagt.
Er hat es ihm gesagt.
Und ich muss ihn wieder von mir wegstoßen, auch wenn ich es fast nicht ertrage.
»Du hast es ihm gesagt«, schleudere ich ihm voller Enttäuschung entgegen.
»Es tut mir leid«, sagt er, und seine Augen sind geweitet vor Entsetzen. »Er war im Begriff, dich zu ertränken. Ich konnte nicht, ich konnte einfach nicht …«
Ich schaue ihn an, und da sehe ich mich in seinem Lärm, wie ich ins Wasser eintauche, und ich sehe ihn, wie er auf der anderen Seite des Spiegels gegen die Scheibe trommelt, und schlimmer noch, ich sehe, was er gefühlt hat, sehe seine ohnmächtige Wut, sehe, wie er nichts für mich tun kann …
Und er ist so besorgt.
»Viola, bitte«, fleht er mich an. »Bitte.«
»Er wird sie töten«, sage ich. »Er wird sie alle töten. Wilf ist bei ihnen.«
»Wilf?«, wiederholt er entsetzt.
»Und Jane«, sage ich. »Und so viele andere, Todd. Er wird sie abschlachten und das ist dann das Ende. Das ist das Ende von allem.«
Sein Lärm wird schwarz und blank, er sinkt neben mir zusammen, lässt sich in die kleine Pfütze fallen, die sich um uns herum gebildet hat. »Nein«, stöhnt er. »Oh nein.«
Ich will es nicht sagen, aber ich höre meine Stimme, die sagt: »Du hast genau das getan, was er von dir wollte. Er wusste ganz genau, wie er es aus dir herauspressen konnte.«
Er schaut mich an. »Was hätte ich denn sonst tun sollen?«
»Du hättest erlauben sollen, dass er mich tötet!«
In seinem Lärm höre ich, wie er versucht, schlau aus mir zu werden, merke, dass er in all der Verwirrung und dem Schmerz die wahre Viola sucht, ich spüre, wie er sucht …
Und einen Moment lang möchte ich nicht, dass er sie findet.
»Du hättest erlauben sollen, dass er mich tötet!«, wiederhole ich leise.
Aber das hätte er doch nicht tun können!
Er hätte es doch nicht tun können, ohne sich selbst untreu zu werden.
Er hätte es nicht tun können, wenn er bleiben wollte, wer er war, wenn er Todd Hewitt bleiben wollte.
Der Junge, der nicht töten kann.
Der Mann, der nicht töten kann.
Wir haben die Wahl, was aus uns wird.
»Wir müssen sie warnen«, sage ich und blicke voller Scham an ihm vorbei. »Wenn wir können.« Ich greife nach dem Rand des Wasserbottichs, um mich hochzuziehen. Von den Fußgelenken aufwärts durchschießt mich ein wilder Schmerz. Ich schreie auf und falle hin.
Und wieder fängt er mich auf.
»Meine Füße«, stöhne ich. Wir beide betrachten meine Füße, sie sind nackt und dick angeschwollen, die Hautfarbe geht in ein
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