Das dunkle Paradies
der Hand über die Stelle am Ärmel, wo sich das Metallband befindet. »Und mein Arm.«
»Und sonst nichts?«, fragt er und lächelt.
Die Wachen marschieren in Reih und Glied, so als würden sie mich und Todd tatsächlich wie befohlen zum Bürgermeister bringen: Ivan und ein zweiter Soldat gehen voraus, zwei sind hinter uns, zwei auf meiner rechten Seite und der letzte geht links von mir.
»Glaubst du, wir können den Bürgermeister schlagen?«, frage ich Todd.
»Na ja«, sagt er und lacht leise. »Zumindest sind wir auf dem Weg dahin.«
Wir sind auf dem Weg.
Auf der Straße nach New Prentisstown.
»Wir sollten uns beeilen«, sagt Todd etwas lauter.
Die Männer gehen schneller.
»Alles ist vollkommen verlassen«, flüstert der Wachmann mit den feuerroten Haaren, als wir durch enger bebaute Stadtbezirke kommen.
Überall sind Häuser, aber keine Menschen.
»Nein«, erwidert der Wachmann mit dem dicken Bauch. »Sie verstecken sich.«
»Es ist gespenstisch, so ganz ohne Armee«, sagt der Rothaarige. »Ohne Soldaten, die durch die Straßen patrouillieren.«
»Wir patrouillieren doch«, belehrt ihn Ivan. »Wir sind auch Soldaten.«
Wir kommen an Häusern vorbei, deren Fensterläden geschlossen sind, vorbei an verbarrikadierten Geschäften. Wir marschieren durch Straßen, auf denen keine Karren, keine Atomkrafträder, ja nicht einmal mehr Menschen zu sehen sind. Man kann das Dröhnen hinter den verschlossenen Türen hören, aber nur halb so laut wie sonst.
Und es klingt verängstigt.
»Die Leute wissen, dass etwas bevorsteht«, sagt Todd. »Sie wissen, dass dies vielleicht die Schlacht ist, auf die sie gewartet haben.«
Vom Rücken meines Pferdes aus spähe ich in alle Richtungen. In keiner Wohnung brennt Licht, in keinem der Fenster kann ich ein Gesicht entdecken. Die Menschen wollen gar nicht wissen, was diese Wachkolonne vorhat mit einem Mädchen, das mit verbundenen Füßen auf einem Pferd sitzt.
Und dann macht die Straße eine Biegung und vor uns liegt die Kathedrale.
»Heiliger Strohsack!«, sagt der rothaarige Soldat, als wir kurz anhalten.
»Das habt ihr überlebt?«, sagt der Dickwanst zu Todd. »Vielleicht bist du ja tatsächlich auserwählt.«
Es ist kaum zu fassen: Der Glockenturm steht noch, obwohl die Backsteine der Grundmauern sehr wacklig aussehen. Zwei Wände des Kirchenschiffs sind ebenfalls übrig geblieben, eine davon ist die mit dem runden Fenster aus buntem Glas.
Aber der Rest.
Der Rest ist nur noch Schutt und Asche.
Sogar von der Rückseite aus kann man erkennen, dass das Dach zum größten Teil eingestürzt ist und dass zwei Wände auf die Straße und den großen Platz vor der Kathedrale gestürzt sind. Einige Steinbögen stehen bedenklich schief, Türen sind aus den Angeln gerissen, der größte Teil der Innenräume liegt nun unter freiem Himmel, und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fallen auf sie.
Und kein einziger Soldat bewacht die Ruine.
»Er ist unbewacht?«, fragt der Rothaarige ungläubig.
»Das sieht ihm ähnlich«, sagt Todd und blickt zur Kathedrale, als könnte er dort irgendwo zwischen den Mauern den Bürgermeister erspähen.
»Wenn er überhaupt da ist«, sagt Ivan.
»Er ist da«, versichert Todd. »Glaubt mir.«
Der rothaarige Soldat weicht zurück. »Auf gar keinen Fall«, sagt er. »Wir laufen in den sicheren Tod, Jungs.«
Voller Angst wirft er uns einen letzten Blick zu, dann macht er auf dem Absatz kehrt und rennt zurück.
Todd seufzt. »Noch jemand?« Die Männer blicken einander an, in ihrem Lärm fragen sie sich, warum sie eigentlich hierhergekommen sind.
»Er wird euch ein Armband verpassen«, sagt Ivan und nickt mir zu. Ich kremple meinen Ärmel hoch und zeige ihnen das Band. Die Haut ist noch immer gerötet und fühlt sich heiß an, wenn man sie berührt. Ich glaube, sie ist entzündet. Die Heilsalben wirken nicht, wie sie sollten.
»Und dann wird er euch wie Sklaven halten«, fährt Ivan fort. »Ich weiß nicht, wie ihr darüber denkt, aber das ist nicht der Grund, weshalb ich zur Armee gegangen bin.«
»Warum bist du dann gegangen?«, fragt ein Wachmann, aber man merkt deutlich, dass er gar keine Antwort auf seine Frage hören will.
»Wir machen ihn fertig«, sagt Ivan. »Dann sind wir Helden.«
»Wir sind Helden und wir haben die Arznei«, sagt der Dickwanst und nickt dazu. »Derjenige, der die Arznei hat …«
»Genug geredet«, fährt Todd dazwischen, und ich höre in seinem Lärm, wie unzufrieden er darüber ist, wie
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