Das dunkle Paradies
freilassen.«
Der Bürgermeister streicht sich mit der Hand übers Kinn, als dächte er über das nach, was Todd eben gesagt hat. »Die Sache ist die, Todd«, sagt er, »die Leute wollen in Wirklichkeit gar nicht frei sein, egal, wie sehr sie über ihre Unfreiheit klagen. Nein, ich glaube, ich weiß, was passieren wird: Die Armee wird die Antwort vernichten, deine Soldaten werden alle wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, und du und ich und Viola, wir werden den angekündigten Plausch über eure Zukunft halten.«
Man hört ein lautes Knacken, als Ivan den Hahn seines Gewehrs spannt. »Das hättet Ihr wohl gerne, was?«
»Ihr seid unser Gefangener und Schluss«, sagt Todd. Er holt ein Stück Seil aus der Satteltasche. »Wir werden sehen, wie sich die Armee dazu stellt.«
»Nun gut«, sagt der Bürgermeister und er klingt beinahe fröhlich dabei. »Aber ich an deiner Stelle würde jemanden in den Keller schicken, damit deine Männer die Arznei sofort einnehmen. Ich kann nämlich eure Pläne klar und deutlich in eurem Lärm lesen und das willst du doch bestimmt nicht.«
Dickwanst dreht sich zu Todd um. Als der nickt, rennt er am Bürgermeister vorbei die Stufen hinauf. »Lauf nach hinten und dann nach unten«, weist ihm der Bürgermeister den Weg. »Du kannst es gar nicht verfehlen.«
Todd nimmt das Seil und geht auf den Bürgermeister zu, auf den noch immer alle Gewehre gerichtet sind. Meine Hände, in denen ich die Zügel halte, schwitzen.
Es kann doch nicht so einfach sein.
Es kann doch nicht …
Der Bürgermeister hält Todd seine Handgelenke hin, aber Todd zögert, er will ihm nicht zu nahe kommen. »Wenn er eine falsche Bewegung macht«, sagt Todd, ohne sich umzuschauen, »dann erschießt ihn.«
»Mit Vergnügen«, antwortet Ivan.
Todd beugt sich vor und beginnt, die Hände des Bürgermeisters zu fesseln.
Aus der Kathedrale hören wir Schritte. Dickwanst kommt angerannt, er keucht und sein Lärm ist wie ein Sturm.
»Du hast gesagt, das Zeug ist im Keller.«
»Dort ist es auch«, antwortet Todd. »Ich hab es dort selbst gesehen.«
Der Soldat schüttelt den Kopf. »Leer. Alles völlig leer.«
Todd sieht den Bürgermeister an. »Dann habt Ihr es weggeschafft. Sagt mir sofort, wo es ist.«
»Und wenn nicht?«, fragt der Bürgermeister. »Werde ich dann erschossen?«
»Das wäre mir am liebsten«, knurrt Ivan.
»Wohin habt Ihr es gebracht?«, fragt Todd ebenso entschlossen wie wütend.
Der Bürgermeister sieht ihn an, dann mustert er die Männer, schließlich blickt er hoch zu mir.
»Eigentlich hast nur du mir Kopfzerbrechen bereitet«, sagt er. »Aber du kannst kaum gehen, nicht wahr?«
»Schaut sie nicht an!«, faucht Todd. »Schaut sie nicht so verdammt dreckig an.«
Der Bürgermeister lächelt. Er hält die locker mit dem Seil gefesselten Hände weiter in die Höhe. »Nun gut«, erwidert er. »Ich will’s dir sagen.«
Er lächelt immer noch in die Runde.
»Ich habe es verbrannt«, erklärt er. »Nachdem die Spackle bedauerlicherweise verstorben sind, gab es keinen Bedarf mehr für die Arznei, deshalb habe ich sie bis auf die letzte Pille verbrannt, ebenso alle Pflanzen, aus denen sie gemacht wird. Danach habe ich das Labor, in dem die Arznei hergestellt wurde, gesprengt und der Antwort die Schuld dafür in die Schuhe geschoben.«
Es herrscht entsetzte Stille. In der Ferne hören wir das Dröhnen der Armee, die den Berg hinaufmarschiert und ihr Ziel nicht aus den Augen lässt.
»Ihr seid ein Lügner«, sagt Ivan schließlich und geht mit erhobener Waffe auf ihn zu. »Und ein dummer Lügner obendrein.«
»Wir können Euren Lärm nicht hören«, sagt Todd. »Also könnt Ihr auch nicht alles verbrannt haben.«
»Aber Todd, mein Sohn«, erwidert der Bürgermeister kopfschüttelnd. »Ich habe die Arznei niemals genommen.«
Wieder herrscht Stille.
Ich höre im Lärm der Männer, wie der Argwohn sich breitmacht. Ein paar von ihnen weichen bei dem Gedanken an die Macht des Bürgermeisters ein Stück zurück. Denn niemand weiß genau, wozu er fähig ist, vielleicht kann er wirklich seinen Lärm beherrschen. Und wenn er das kann …
»Er lügt«, sage ich, weil mir einfällt, was Mistress Coyle über ihn gesagt hatte. »Er ist der Präsident der Lüge.«
»Nun, wenigstens hast du endlich ›Präsident‹ zu mir gesagt.«
Todd versetzt dem Bürgermeister einen Stoß. »Sagt uns sofort, wo die Arznei ist.«
Der Bürgermeister taumelt einen Schritt zurück, dann fängt er sich wieder. Er
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