Das dunkle Paradies
sich die Sache entwickelt. »Tun wir’s jetzt oder tun wir’s nicht?«
Die Männer blicken einander an.
Todd erhebt seine Stimme.
Er kommandiert.
Dass sogar ich ihn anschauen muss.
»Ich frage euch: Seid ihr bereit?«
»Ja, Sir«, antworten die Männer. Fast scheinen sie überrascht zu sein, dies aus ihrem eigenen Mund zu hören.
»Dann lasst uns gehen«, sagt Todd.
Die Männer setzen sich wieder in Bewegung, rechts, links, rechts, ihre Schritte knirschen auf dem Schotter der Straße, sie marschieren die kleine Anhöhe hinunter, durch die Stadt, auf die Kathedrale zu, die immer größer wird, je näher wir kommen.
Zwischen den Bäumen kann ich die Berge sehen, die sich im Süden vom Horizont abheben.
»Oh verflucht!«, keucht Dickwanst fassungslos.
Sogar von hier aus kann man die Armee in der Ferne erkennen. Wie eine schwarze Schlange windet sie sich einen viel zu schmalen Pfad hinauf zu dem eingekerbten Gipfel des Hügels.
Ich blicke in die untergehende Sonne.
»Vielleicht noch eine Stunde«, sagt Todd, der meinen prüfenden Blick bemerkt. »Eher weniger.«
»Lee wird es nicht mehr rechtzeitig schaffen«, sage ich.
»Vielleicht doch. Es gibt Abkürzungen.«
Es sind so viele Soldaten. Wenn es zum Kampf Mann gegen Mann kommt, hat die Antwort keine Chance gegen sie.
»Wir dürfen nicht versagen«, sage ich.
»Wir werden nicht versagen«, antwortet Todd.
Und jetzt haben wir die Kathedrale erreicht.
An der Nordseite ist der Schaden am größten, die Mauer ist auf der gesamten Länge eingestürzt.
»Vergesst nicht«, ermahnt Todd die Soldaten leise, als wir über die Trümmer klettern. »Ihr bringt zwei Gefangene zum Präsidenten, so wie man es euch befohlen hat. Niemand darf auch nur den geringsten Verdacht schöpfen.«
Wir setzen unseren Weg fort. Die Steinbrocken türmen sich so hoch auf, dass man nicht in das Innere der Kathedrale sehen kann. Und irgendwo da drinnen ist er.
Wir biegen um die Ecke. Wo einmal die Vorderseite des Gebäudes war, klafft jetzt ein Loch im Kirchenschiff, auf das der Glockenturm und das kreisrunde Fenster aus buntem Glas herabschauen. Die Sonne in unserem Rücken scheint herein. Die aufgerissenen Böden geben den Blick frei auf das zerstörte Obergeschoss. Ein halbes Dutzend rot gefiederte Vögel sucht zwischen den Steinen nach Essbarem und anderen Überresten. Das übrige Gemäuer ist in sich zusammengesunken, als wäre es plötzlich müde geworden und wollte sich nun endlich zur Ruhe legen.
»Hier ist niemand«, sagt Ivan.
»Deshalb sind auch keine Wachen da«, sagt Dickwanst. »Er ist bei seinen Truppen.«
»Nein«, widerspricht ihm Todd und blickt sich stirnrunzelnd um.
»Todd?«, frage ich, denn ich spüre etwas …
»Er hat ausdrücklich befohlen, Todd hierherzubringen«, sagt Ivan.
»Und wo ist er dann?«, fragt Dickwanst.
»Oh, hier bin ich«, sagt der Bürgermeister und tritt aus einem Schatten hervor, der eigentlich viel zu klein ist, um einen Menschen zu verbergen, man könnte fast glauben, er ist direkt aus der Wand hervorgetreten, wenn er nicht sogar unsichtbar war.
»Was zum Teufel …«, stößt Dickwanst hervor und weicht erschrocken zurück.
»Nicht der Teufel«, sagt der Bürgermeister. Er steigt über den Schutt und kommt auf uns zu. Die Wachen legen die Gewehre an, er selbst scheint unbewaffnet zu sein.
»Nein, nicht der Teufel«, sagt er und grinst breit. »Viel schlimmer.«
»Bleibt, wo Ihr seid«, befiehlt Todd. »Hier stehen Männer, die nichts lieber täten, als auf Euch zu schießen.«
»Das weiß ich«, sagt der Bürgermeister und bleibt auf der untersten Stufe der Eingangstreppe stehen, den Fuß auf einen großen Steinbrocken gesetzt. »Soldat Farrow zum Beispiel.« Er nickt mit dem Kopf in Ivans Richtung. »Er schäumt immer noch vor Wut, weil er wegen seiner eigenen Unfähigkeit bestraft wurde.«
»Kein Wort mehr«, knurrt Ivan und nimmt ihn ins Visier.
»Sieh ihm nicht in die Augen!«, ruft Todd schnell. »Ihr dürft ihm nicht in die Augen sehen.«
Der Bürgermeister hebt langsam die Hände hoch. »Dann bin ich also euer Gefangener?« Er lässt seinen Blick über die Soldaten schweifen, die alle ihr Gewehr auf ihn gerichtet haben. »Ach ja, ich verstehe«, sagt er dann. »Du hast einen Plan. Du willst den Leuten die Arznei geben, du nutzt ihren Verdruss aus, um selbst die Macht zu übernehmen. Sehr schlau.«
»Nein, das habe ich nicht vor«, sagt Todd. »Ihr werdet die Truppen zurückrufen. Ihr werdet alle wieder
Weitere Kostenlose Bücher