Das dunkle Paradies
»Wir legen dem Präsidenten das Handwerk, geben den Männern die Arznei wieder. Was glaubt ihr, auf wen sie hören werden?«
»Nicht auf dich, Ivan.«
»Nein«, sagt Ivan und wirft mir wieder diesen merkwürdigen Blick zu. »Aber vielleicht hören sie auf ihn.«
Die Männer blicken zu mir hoch, wie ich mit Gewehr auf dem Rücken von Angharrad sitze, in meiner staubigen Uniform, mit meinen halsbrecherischen Ideen, und ein Rascheln geht durch ihren Lärm, als jeder von ihnen sich fragt, ob er verrückt genug ist, diese Gelegenheit beim Schopf zu packen.
Ich muss an Viola denken, die in der Arena sitzt; es ist mein sehnlichster Wunsch, sie zu retten, sie, für die ich alles tun würde.
Ich denke an sie, und plötzlich weiß ich genau, wie ich die Männer überzeugen kann.
»Alle Frauen tragen schon das Armband«, sage ich. »Was meint ihr, wer als Nächstes dran sein wird?«
Als ich zurückkomme, wickelt Lee gerade den letzten Verband um Violas Füße. Sie scheint jetzt nicht mehr ganz so schlimme Schmerzen zu haben.
»Kannst du stehen?«, frage ich sie.
»Ein wenig.«
»Das macht nichts«, tröste ich sie. »Draußen steht Angharrad. Du und Lee, ihr beide könnt das Pferd nehmen, um eure Leute zu warnen.«
»Und was ist mit dir?«, fragt Viola und setzt sich auf.
»Ich gehe zu ihm«, antworte ich. »Ich lege ihm das Handwerk.«
Als ich das sage, fährt ein Ruck durch sie.
»Ich komme mit dir«, schlägt Lee augenblicklich vor.
»Nein, das tust du nicht«, sage ich. »Du musst der Antwort sagen, sie soll ihren Angriff abblasen. Und du musst deinen Leuten sagen, wie skrupellos Mistress Coyle ist.«
Lee presst die Lippen zusammen, aber ich merke, wie sein Lärm vor Wut über die Bombe brodelt. Auch er wäre fast bei dem Anschlag umgekommen. »Viola meint, du könntest niemanden töten.«
Ich werfe ihr einen zornigen Blick zu. Sie hat genug Anstand wegzuschauen.
»Ich werde ihn töten«, sagt Lee. »Ich werde ihn töten für das, was er meiner Mutter und meiner Schwester angetan hat.«
»Aber wenn du die Antwort nicht warnst«, beschwöre ich ihn, »wird es noch viel mehr Tote geben.«
»Mistress Coyle überlasse ich ihm gern«, sagt Lee, aber ich sehe auch, wie viele andere Menschen durch seinen Lärm wirbeln, Wilf und Jane, andere Männer, andere Frauen und Viola und Viola und Viola.
»Was willst du tun, Todd?«, fragt sie mich. »Du kannst ihm nicht ganz alleine gegenübertreten.«
»Ich werde nicht alleine sein«, antworte ich. »Ein paar von den Wachleuten werden mich begleiten.«
Sie reißt die Augen auf. »Sie werden was?«
»Ich habe eine kleine Meuterei angezettelt«, sage ich mit einem Lächeln.
»Wie viele?«, fragt Lee mit todernster Miene.
Ich zögere einen Augenblick, dann sage ich: »Sieben. Ich konnte nicht alle auf meine Seite bringen.«
Viola sieht mich ungläubig an. »Du willst mit sieben Mann gegen den Bürgermeister kämpfen?«
»Ich muss es versuchen«, sage ich. »Der größte Teil der Armee ist in die entscheidende Schlacht gezogen. Der Bürgermeister wartet auf mich. So schlecht bewacht wie heute wird er niemals wieder sein.«
Sie legt mir eine Hand auf die Schulter, mit der anderen stützt sie sich auf Lees Schulter und stemmt sich hoch. Ich merke, wie sie sich zusammennehmen muss wegen der Schmerzen, aber Lee hat die Verbände fest angelegt; und auch wenn sie ihr nicht allzu viel Halt geben, kann sie doch mit ihrer Hilfe ein, zwei Sekunden auf eigenen Beinen stehen.
»Ich komme mit«, sagt sie.
»Nein, das wirst du nicht«, sage ich.
Und Lee ruft zur gleichen Zeit: »Auf keinen Fall!«
Sie hebt entschlossen ihr Kinn. »Und was bringt euch beide auf die Idee, ihr hättet ein Wörtchen mitzureden?«
»Du kannst nicht laufen«, sage ich.
»Du hast doch ein Pferd«, erwidert sie mir.
»Du musst dich in Sicherheit bringen«, dränge ich sie.
»Er wartet auf uns beide, Todd. Wenn du ohne mich zu ihm gehst, ist dein Plan gescheitert, ehe du auch nur ein Wort mit ihm gesprochen hast.«
Ich stütze die Hände in die Hüften. »Du hast selbst gesagt, der Bürgermeister wird dich bei jeder Gelegenheit gegen mich ausspielen.«
Sie beißt die Zähne zusammen und stellt sich mit ihrem ganzen Gewicht auf die Füße. »Dann lass uns umso mehr hoffen, dass dein Plan funktioniert.«
»Viola …«, will Lee sagen, aber sie bringt ihn mit einem Blick zum Schweigen.
»Geh zur Antwort , Lee. Warne sie. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Aber …«
»Geh jetzt«, sagt sie
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