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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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werde nichts zu essen kriegen, ehe sie die Befragung nicht für beendet erklärt. »Mistress Coyle …«
    »Und du bist sicher, dass die Betreuer-Familien aus einundachtzig Personen bestehen?«
    »Ich muss es ja wissen«, sage ich. »Ich bin mit ihren Kindern zur Schule gegangen.«
    Sie blickt auf. »Ich weiß, es ist ermüdend, Viola, aber Wissen bedeutet Macht. Wissen, das wir an ihn weitergeben. Und Wissen, das wir von ihm bekommen.«
    Ich seufze ungeduldig. »Ich verstehe aber rein gar nichts vom Spionieren.«
    »Das hat nichts mit Spionieren zu tun«, sagt sie und blickt wieder in ihre Aufzeichnungen. »Es geht darum, ein paar Dinge herauszufinden.« Sie schreibt etwas auf ihren Block. »Viertausendachthundertundeinundachtzig Menschen«, sagt sie halb zu sich selbst.
    Ich weiß, was sie meint. Das sind mehr Menschen, als auf dem ganzen Planeten leben. Genug, um alles zu verändern.
    Aber in welche Richtung?
    »Wenn er wieder mit dir spricht, darfst du ihm nichts von den Schiffen erzählen. Lass ihn im Dunkeln tappen. Lass ihn im Unklaren darüber, wie viele Menschen es sind.«
    »Und gleichzeitig soll ich so viel wie möglich herausfinden«, sage ich.
    Sie klappt ihr Notizbuch zu, die Befragung ist beendet. »Wissen bedeutet Macht«, wiederholt sie.
    Ich setze mich im Bett auf, ich habe keine Lust mehr, krank zu sein. »Darf ich Euch etwas fragen?«
    Sie steht auf und greift nach ihrem Umhang. »Sicher.«
    »Warum vertraut Ihr mir?«
    »Es war dein Gesicht, als er den Raum betrat«, antwortet sie prompt. »Du hast ausgesehen, als würdest du gerade deinem ärgsten Feind begegnen.«
    Sie schließt den obersten Knopf. Ich beobachte sie aufmerksam. »Wenn ich nur Todd finden oder zu diesem Sendeturm gehen könnte …«
    »Um von den Soldaten erwischt zu werden?« Sie verzieht keine Miene, aber ihre Augen funkeln. »Und dabei den einzigen Vorsprung, den wir haben, aufs Spiel zu setzen?« Sie macht die Tür auf. »Nein, Mädchen, der Präsident wird wieder nach dir rufen lassen, und dann wird das, was du herausfindest, uns helfen.«
    Ich rufe ihr nach, als sie schon im Gehen begriffen ist: »Wen meint Ihr mit ›wir‹?« Aber sie ist schon weg.
    »… und das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass er mich hochgehoben und einen furchtbar steilen Hang hinuntergetragen hat und mir sagte, dass ich nicht sterben müsse, dass er mich retten würde.«
    »Ach«, seufzt Maddy leise. Unter ihrem Häubchen lugen ein paar Haarlocken hervor, während wir langsam im Korridor auf und ab gehen, damit ich wieder zu Kräften komme. »Und er hat dich ja auch wirklich gerettet.«
    »Er kann nicht töten«, erzähle ich weiter. »Das ist auch der Grund, weshalb sie ihn um jeden Preis haben wollten. Er ist nicht wie sie. Er hat einmal einen Spackle getötet, und du hättest sehen sollen, wie er darunter gelitten hat. Und jetzt haben sie ihn doch gekriegt …«
    Ich muss stehen bleiben, blinzle die Tränen weg und blicke zu Boden.
    »Ich muss weg von hier. Ich bin keine Spionin. Ich muss ihn finden und dann muss ich zu diesem Turm und die anderen warnen. Vielleicht können sie uns Hilfe schicken. Sie haben noch mehr Erkundungsschiffe. Sie sind bewaffnet …«
    Maddys Miene ist angespannt, wie jedes Mal, wenn ich mit ihr über dieses Thema rede. »Wir dürfen ja noch nicht einmal das Haus verlassen.«
    »Du darfst dich nicht mit allem abfinden, was andere dir sagen, Maddy. Besonders wenn sie Unrecht haben.«
    »Und du kannst nicht allein gegen eine ganze Armee kämpfen.« Sie dreht mich sanft um, damit wir den Korridor wieder zurückgehen können, und lächelt. »Nicht einmal die großartige und tapfere Viola Eade kann das.«
    »Ich hab es schon getan«, widerspreche ich ihr. »Zusammen mit ihm.«
    »Viola …«, seufzt sie leise.
    »Ich habe meine Eltern verloren«, sage ich zu ihr mit belegter Stimme. »Ich kann sie nicht wieder lebendig machen. Und nun habe ich auch ihn verloren. Aber wenn es eine Möglichkeit gibt, sei sie auch noch so klein …«
    »Das wird Mistress Coyle nie erlauben«, warnt mich Maddy, doch in ihrer Stimme schwingt etwas mit, was mich aufhorchen lässt.
    »Aber?«, hake ich nach.
    Maddy sagt nichts, sie führt mich zum Korridorfenster, durch das man auf die Straße hinausblicken kann. Im hellen Sonnenschein patrouilliert ein Trupp Soldaten vorbei, ein Wagen mit staubig dunkelrotem Getreide rollt ihnen entgegen, wir hören Lärm, der aus der Stadt kommt und durch die Straße tost, als rückte noch

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