Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
Vom Netzwerk:
Frauen in Prentisstown«, sage ich. »Ihr wart der Feind aller Bewohner von Farbranch.«
    Er erstarrt, hat sich jedoch sofort wieder in der Gewalt. »Heute Morgen wurde eine Leiche im Fluss gefunden«, sagt er. »Eine Leiche mit durchschnittener Kehle.«
    Gegen meinen Willen reiße ich überrascht die Augen auf. Er mustert mich jetzt aufmerksam. »Vielleicht hat der Mann den Tod verdient«, sagt er. »Vielleicht hatte der Mann Feinde.«
    Ich sehe mich selbst, wie ich es tue.
    Ich sehe mich, wie ich das Messer in ihn stoße.
    Ich schließe die Augen.
    »Was mich angeht«, sagt der Bürgermeister, »ist der Krieg zu Ende. Die Zeit, in der ich Soldat war, ist vorüber. Nun kommt die Zeit, in der ich führen werde, in der ich die Menschen einander näherbringen werde.«
    Indem du sie aussonderst, denke ich, aber meine Atemzüge werden langsamer. Das weiße Zimmer scheint noch heller zu werden, doch es ist eine angenehme Helligkeit, ich möchte mich hineinfallen lassen und schlafen, schlafen und immer weiterschlafen. Ich krieche noch tiefer unter die Decke.
    »Ich verlasse dich jetzt«, sagt er. »Aber wir werden uns wiedersehen.«
    Ich fange an, durch den Mund zu atmen. Ich kann nicht länger gegen den Schlaf ankämpfen.
    Er sieht, wie ich langsam wegdämmere.
    Und dann tut er etwas völlig Überraschendes.
    Er tritt ans Bett und streicht die Decke glatt, so als wollte er mich gut zudecken.
    »Ehe ich gehe«, sagt er, »habe ich noch eine Bitte.«
    »Welche?«, frage ich mit geschlossenen Augen.
    »Ich möchte, dass du David zu mir sagst.«
    »Wie?«, frage ich mit belegter Stimme.
    »Ich möchte, dass du sagst: Gute Nacht, David.«
    Dieses Jefferszeug hat mich derart willenlos gemacht, dass mir die Worte schon aus dem Mund kullern, ehe ich noch begreife, was ich da sage. »Gute Nacht, David.«
    Und obwohl das Medikament mich in einen Nebel hüllt, bemerke ich, dass er überrascht, sogar ein bisschen enttäuscht aussieht.
    Aber er fasst sich schnell wieder. »Dir auch eine gute Nacht, Viola.« Er nickt mir zu und wendet sich zum Gehen.
    Und jetzt weiß ich, was anders ist bei ihm.
    »Ich kann Euch nicht hören«, flüstere ich.
    Er dreht sich um. »Ich habe gesagt: dir auch.«
    »Nein«, unterbreche ich ihn, und meine Zunge ist so schwer, dass ich Mühe habe zu sprechen. »Ich kann Euch nicht denken hören.«
    Er zieht die Augenbrauen hoch. »Das will ich doch hoffen.«
    Ich glaube, ich bin schon eingeschlafen, ehe er draußen ist.
    Ich schlafe lange, sehr lange und irgendwann blinzle ich wieder in den Sonnenschein und frage mich, was Wirklichkeit und was Traum war.
    (Mein Vater, er streckt mir die Hand entgegen, um mir zu helfen, die Leiter zur Einstiegsluke hochzuklettern, er lächelt und sagt: »Willkommen an Bord, Skipper.«)
    »Du schnarchst«, sagt jemand.
    Corinne sitzt auf dem Stuhl neben meinem Bett. Sie hält Nadel und Faden in der Hand, die so schnell über ein Stück Stoff fliegt, als wäre es nicht Corinne, die näht, sondern die zornige flinke Hand eines anderen.
    »Tue ich nicht«, antworte ich.
    »Wie eine brünstige Kuh.«
    Ich schlage die Bettdecke zurück. Meine Verbände sind gewechselt worden und der Schmerz ist verschwunden, also wurde vermutlich auch der gerissene Faden ersetzt. »Wie lange habe ich geschlafen?«
    »Mehr als einen ganzen Tag.« In Corinnes Stimme schwingt Tadel mit. »Der Präsident hat schon zweimal Leute hergeschickt, um nach dir zu sehen.«
    Ich lege die Hand an meine Seite und betaste vorsichtig die Wunde. Es tut fast gar nicht mehr weh.
    »Warum sagst du nichts dazu?«, fragt Corinne und jagt die Nadel durch den Stoff.
    »Was soll ich dazu sagen?«, antworte ich stirnrunzelnd. »Ich habe ihn noch nie zuvor getroffen.«
    »Aber ihm lag sehr viel daran, dich kennenzulernen. Autsch!« Sie saugt zischend die Luft ein und steckt schnell die Fingerspitze in den Mund. »Die ganze Zeit über hält er uns gefangen«, sagt sie mit dem Finger im Mund. »Die ganze Zeit über dürfen wir nicht einmal das Haus verlassen.«
    »Ich verstehe nicht, weshalb ich daran schuld sein soll.«
    »Das ist nicht deine Schuld, Mädchen«, sagt Mistress Coyle, die gerade ins Zimmer gekommen ist. Sie wirft Corinne einen strengen Blick zu. »Keiner hier glaubt das.«
    Corinne steht auf, verbeugt sich leicht vor Mistress Coyle und geht ohne ein weiteres Wort hinaus.
    »Wie geht es dir?«, fragt Mistress Coyle.
    »Ich fühle mich zerschlagen.«
    Ich richte mich in meinem Bett auf und diesmal fällt es mir

Weitere Kostenlose Bücher