Das dunkle Paradies
viel leichter. Ich spüre einen unangenehmen Druck auf meiner Blase. Ich sage es Mistress Coyle.
»Nun«, sagt sie, »mal sehn, ob du schon alleine ins Bad gehen kannst, um dem abzuhelfen.«
Ich hole tief Luft, setze mich auf die Bettkante und stelle meine Füße auf den Boden. Ich kann die Beine nur langsam abwinkeln, aber nach und nach schaffe ich es doch, und schließlich gelingt es mir sogar, aufzustehen und bis zur Tür zu gehen.
»Maddy hat gesagt, Ihr seid die beste Heilerin in der ganzen Stadt«, sage ich voll Bewunderung.
»Maddy lügt nie.«
Sie begleitet mich einen langen, weißen Korridor entlang bis zu einer Toilette. Als ich fertig bin, mich gewaschen und die Tür wieder geöffnet habe, hält Mistress Coyle ein flauschiges, weißes Nachthemd für mich bereit, länger und viel hübscher als der am Rücken gebundene Kittel, den ich jetzt anhabe. Ich ziehe mich um und gehe schwankend mit ihr in den Korridor zurück.
»Der Präsident hat sich nach deinem Befinden erkundigt«, sagt sie und stützt mich beim Gehen mit der Hand.
»Corinne hat es mir schon erzählt.« Ich beobachte sie aus den Augenwinkeln. »Das macht er nur wegen der Schiffe mit den neuen Siedlern. Ich kenne ihn ja gar nicht. Ich stehe nicht auf seiner Seite.«
»Ah«, sagt Mistress Coyle und bringt mich zurück in mein Zimmer und in mein Bett. »Dann weißt du also, dass es verschiedene Seiten gibt?«
Ich lege mich hin, die Zunge gegen meine Zähne gepresst. »Habt Ihr mir die doppelte Dosis Jeffers gegeben, damit ich nicht so lange mit ihm sprechen muss?«, frage ich. »Oder damit ich ihm nicht allzu viel erzählen kann?«
Sie nickt, als wollte sie sagen: wie schlau du doch bist. »Wäre es so schlimm, wenn ein bisschen von beidem wahr wäre?«
»Ihr hättet mich vorher fragen können.«
»Keine Zeit«, erwidert sie und setzt sich auf den Stuhl neben meinem Bett. »Wir wissen nur, was er schon gemacht hat, und das ist schlimm genug. Was auch immer er über eine neue Gesellschaft sagt, man wünscht sich nicht ohne Grund, besser vorbereitet zu sein, wenn er das Gespräch eröffnet.«
»Ich kenne ihn nicht«, wiederhole ich. »Ich weiß gar nichts über ihm.«
»Wenn du es schlau anstellst«, sagt sie, und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, »dann kannst du bei einem Mann, der sich für dich interessiert, einiges in Erfahrung bringen.«
Ich versuche sie zu verstehen. Ich bemühe mich zu verstehen, was sie mir damit sagen will, aber Frauen haben ja auch hier keinen Lärm.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, frage ich sie.
»Ich will damit sagen: Es ist an der Zeit, dass du etwas Anständiges in den Magen bekommst.« Sie steht auf und streicht unsichtbare Fusseln von ihrem Umhang. »Ich werde Maddy anweisen, dir ein Frühstück zu bringen.«
Sie geht zur Tür, fasst nach dem Knauf, öffnet sie aber nicht. »Merk dir eines«, sagt sie, ohne sich umzudrehen, »wenn es verschiedene Seiten gibt und der Präsident auf der einen Seite steht«, jetzt wirft sie mir einen Blick über die Schulter zu, »dann stehe ich ganz bestimmt auf der anderen Seite.«
7
Mistress Coyle
(VIOLA)
»Es sind sechs Raumschiffe«, sage ich von meinem Bett aus, zum dritten Mal schon an ebenso vielen Tagen. An so vielen Tagen, an denen Todd irgendwo da draußen ist, an so vielen Tagen, an denen ich nicht weiß, was mit ihm oder irgendjemandem sonst dort geschieht.
Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich immerzu Soldaten vorbeimarschieren, aber sie tun nichts anderes als marschieren. Alle hier im Haus der Heilung waren mehr oder weniger davon überzeugt, dass sie jeden Augenblick hereinstürmen würden, zu jeder Schandtat bereit. Bereit, uns spüren zu lassen, dass sie die Sieger und wir die Unterworfenen sind.
Aber das tun sie nicht, sie marschieren nur vorbei. Andere Männer bringen uns Nachschub an Lebensmitteln zu den Hintereingängen und die Heilerinnen können ungestört ihrer Arbeit nachgehen.
Wir dürfen das Haus noch immer nicht verlassen, aber das Leben draußen scheint trotzdem weiterzugehen. Nicht jeder hat damit gerechnet, am wenigsten, so scheint es, Mistress Coyle, die überzeugt ist, dies könne nur bedeuten, dass uns noch Schlimmeres bevorsteht.
Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, sie hat vermutlich Recht.
Sie schaut stirnrunzelnd auf ihre Notizen. »Nur sechs?«
»Achthundert Siedler, die schlafen, und drei Betreuer-Familien in jedem Schiff«, antworte ich. Ich bekomme allmählich Hunger, aber ich weiß nur zu gut, ich
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