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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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an seinem Tonfall, dass er mich wiedererkannt hat.
    Er bringt das Gewehr in Anschlag.
    »Du bist das Mädchen«, sagt er und schaut mich an.
    »Viola?«, flüstert Maddy, die einen Schritt rechts hinter mir steht.
    »Bürgermeister Prentiss kennt mich«, sage ich. »Du wirst mir nichts tun.«
    Er zieht an seiner Zigarette, schnippt die Asche weg, ein heller Punkt blendet meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen. » Präsident Prentiss kennt dich.«
    Dann blickt er zu Maddy und zielt mit seinem Gewehr direkt auf sie.
    »Aber ich glaube nicht, dass er dich kennt.«
    Und noch ehe ich etwas sagen kann …
    Ohne jede Vorwarnung …
    So selbstverständlich wie der nächste Atemzug …
    … drückt Sergeant Hammar ab.

9
    Der Krieg ist vorbei
    [TODD]
    »Du übernimmst die Latrine«, sagt Davy und wirft mir den Kanister mit Kalk zu.
    Wir haben nie gesehen, dass die Spackle in die Ecke gehen, in der sie eine Grube gegraben haben, um ihr Geschäft zu verrichten, aber jeden Morgen ist die Grube ein bisschen voller und der Gestank ein bisschen größer, sodass man sie mit Kalk ablöschen muss, damit es nicht so stinkt und man sich keine ansteckenden Krankheiten einfängt.
    Ich hoffe, dass der Kalk gegen Krankheitserreger besser wirkt als gegen den Gestank.
    »Warum machst du das nie?«, protestiere ich.
    »Weil Pa wahrscheinlich denkt, dass du dafür besser geeignet bist, Schweinebacke«, antwortet Davy. »Und außerdem habe ich noch immer das Sagen hier.«
    Und dabei grinst er mich an.
    Wortlos gehe ich zur Grube.
    Eintönig verstreichen die Tage, einer nach dem anderen, bis zwei Wochen oder mehr vergangen sind.
    Ich bin am Leben geblieben. Ich habe es durchgestanden.
    (Sie auch?)
    (Sie auch?)
    An jedem Morgen reiten Davy und ich zum Kloster, und er »bewacht« die Spackle, während sie Zäune abreißen und Brombeergestrüpp ausdünnen, und ich verbringe meine Tage damit, ihnen das Futter aus dem Schuppen zu schaufeln, das immer noch nicht für alle reicht; vergeblich versuche ich die übrigen beiden Wasserpumpen zu reparieren und kalke täglich die Latrinengrube.
    Die Spackle verhalten sich still, sie unternehmen nichts, und als wir sie endlich gezählt haben, sind es tausendfünfhundert. Tausendfünfhundert Wesen, die auf einer Fläche eingepfercht sind, auf der ich nicht mal zweihundert Schafe halten würde. Noch mehr Wachen sind inzwischen angerückt, sie haben auf der Steinmauer Posten bezogen, halten hinter dem Stacheldraht ihre Gewehre im Anschlag, aber die Spackle unternehmen nichts, was nur im Entferntesten bedrohlich wäre.
    Sie sind alle am Leben geblieben. Und sie haben es durchgestanden.
    So wie New Prentisstown auch.
    Jeden Tag berichtet mir Bürgermeister Ledger, was er bei seinen Mülltouren gesehen hat. Männer und Frauen sind immer noch voneinander getrennt, die Steuern wurden erhöht, die Kleidervorschriften sind strenger geworden, eine Liste von Büchern wurde erstellt, die abgeliefert und verbrannt werden müssen, der Kirchenbesuch ist nun zwingend vorgeschrieben, wenn auch natürlich nicht in der Kathedrale.
    Aber es geht inzwischen wieder so zu wie in einer ganz normalen Stadt. Die Geschäfte sind wieder eröffnet, auf den Straßen sieht man Karren und Atomkrafträder, sogar ein, zwei Atomkraftautos fahren. Die Männer gehen wieder ihrer Arbeit nach. Die Mechaniker reparieren wieder, die Bäcker backen, die Bauern bestellen wieder ihre Felder und die Holzfäller fällen wieder Holz, einige der Männer haben es sogar gewagt, sich als Freiwillige bei der Armee zu melden, obwohl man genau weiß, wer diese neuen Soldaten sind, denn sie haben die Arznei noch nicht erhalten.
    »Weißt du …«, sagt Bürgermeister Ledger eines Abends, und ich kann es in seinem Lärm lesen, noch ehe er es ausgesprochen hat, kann sehen, wie der Gedanke Gestalt annimmt, der Gedanke, den ich selbst noch nicht gedacht habe, den ich mir zu denken verboten habe, »es ist bei Weitem nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Ich habe damit gerechnet, dass ein Gemetzel stattfindet. Ich habe fest damit gerechnet, dass ich sterben würde, vielleicht sogar damit, dass er die ganze Stadt niederbrennt. Unsere Kapitulation entsprang der Verzweiflung, aber vielleicht sagt er ja trotzdem die Wahrheit.«
    Er steht auf und schaut über die Dächer von New Prentisstown. »Vielleicht«, sagt er, »ist der Krieg tatsächlich vorüber.«
    »Hey!«, höre ich Davy rufen, als ich gerade auf dem Weg zur Grube bin. Ich drehe mich um. Ein Spackle

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