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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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steht neben ihm.
    Er hat seine langen weißen Arme ausgestreckt, er scheint friedliche Absichten zu haben. Er fängt an, mit der Zunge zu schnalzen und zeigt auf eine Gruppe von Spackle, die soeben einen Zaun niedergerissen haben. Er schnalzt und schnalzt und deutet auf einen der leeren Wassertröge, aber man kann ihn ja nicht verstehen, wenn man seinen Lärm nicht hört.
    Davy tritt näher zu ihm, mit weit aufgerissenen Augen, er nickt mitfühlend, aber sein Grinsen ist gefährlich. »Jaja, die harte Arbeit macht euch durstig«, sagt er. »Natürlich, ihr müsst durstig sein, danke, dass du mich darauf aufmerksam machst, hab recht vielen Dank. Als Antwort will ich dir nur Folgendes sagen.«
    Und er schlägt dem Spackle mit dem Griff seiner Pistole ins Gesicht. Man hört, wie die Knochen brechen, und der Spackle stürzt zu Boden und presst seine Hand gegen den Kiefer, seine langen Beine strampeln in der Luft.
    Lautes Zungenschnalzen schlägt uns wie eine aufbrandende Woge entgegen. Davy richtet die Mündung seiner Pistole auf die Umstehenden. Auch auf der Mauerkrone werden die Gewehre entsichert, die Soldaten richten ihre Waffen auf die Spackle. Die ziehen sich langsam zurück, der mit dem gebrochenen Kiefer windet sich und bleibt zuckend im Gras liegen.
    »Weißt du was, Todd?«, sagt Davy.
    »Was denn?«, frage ich und lasse den Spackle, der auf dem Boden liegt, nicht aus den Augen, mein Lärm zittert wie ein dürres Blatt im Herbstwind.
    Die Pistole in der Hand, dreht er sich zu mir. »Es macht Spaß, Anführer zu sein.«
    Jede Minute habe ich damit gerechnet, dass es mir an den Kragen geht.
    Jede Minute habe ich gehofft, dass es nicht so kommt.
    Und jeden Tag habe ich nach ihr Ausschau gehalten.
    Ich habe aus den Schalllöchern des Glockenturms gespäht, aber nie sah ich etwas anderes außer Soldaten, die vorbeimarschierten, und Männer, die arbeiteten. Nie sah ich ein bekanntes Gesicht, nie hörte ich eine Stille, die so wie ihre war.
    Ich habe Ausschau nach ihr gehalten, wann immer ich mit Davy zum Kloster und zurückgeritten bin. Ich habe die Fenster der Frauenunterkünfte nach ihr abgesucht, aber nie erschien dort ihr Gesicht.
    Hin und wieder habe ich sogar unter den Spackle nach ihr gesucht, gehofft, sie würde sich hinter einem von ihnen verstecken, um plötzlich aufzuspringen und Davy anzuschreien, weil er die Spackle schlägt, und danach zu mir zu sagen, so als wäre nichts geschehen: »Hey, ich bin’s, hier bin ich.«
    Aber sie ist nicht da.
    Sie ist nicht da.
    Immer wenn ich ihn sehe, frage ich Bürgermeister Prentiss nach ihr, und er sagt, ich müsse ihm vertrauen, sagt, dass er nicht mein Feind sei, dass alles wieder gut werde, wenn ich nur an ihn glaubte.
    Trotzdem habe ich mich umgesehen.
    Sie war nicht da.
    »Hey, Mädchen«, sage ich zu Angharrad, als ich sie am Ende des Tages sattle. Ich reite inzwischen viel besser auf ihr, spreche viel besser mit ihr, verstehe ihre Launen viel besser. Wenn ich auf ihrem Rücken sitze, bin ich nicht mehr so angespannt, und auch sie ist weniger angespannt, weil ich auf ihr sitze. Heute Morgen, als ich ihr einen Apfel gefüttert habe, hat sie mit ihren Zähnen an meinem Haar gezupft, als wäre ich ein Pferd.
    Menschenfohlen , sagt sie, wenn ich aufsitze und Davy und ich in die Stadt zurückreiten.
    »Angharrad«, sage ich und beuge mich zwischen ihre Ohren, denn Pferde mögen das offenbar, es erinnert sie daran, dass jemand da ist, es erinnert sie daran, dass sie auch zur Herde gehören.
    Pferde verabscheuen nichts mehr, als alleine zu sein.
    Menschenfohlen , sagt Angharrad wieder.
    »Angharrad«, sage ich.
    »Oh Mann, Schweinebacke«, stöhnt Davy. »Weshalb heiratest du nicht dieses Scheiß…« Dann hält er inne. »Verdammt noch mal«, sagt er im Flüsterton, »jetzt schau dir das an.«
    Aus einem Laden kommen Frauen.
    Es sind vier, sie gehen dicht nebeneinanderher. Wir wissen ja, dass sie ihre Häuser verlassen dürfen, aber sie sind immer tagsüber draußen, zu einer Zeit, wenn Davy und ich im Kloster sind, sodass wir immer nur in eine Stadt voller Männer zurückkehren; Frauen sind für uns nur Phantome, nur Gerüchte.
    Es ist eine Ewigkeit her, seit ich zum letzten Mal eine Frau nicht nur durch ein Fenster oder vom Turm herab gesehen habe.
    Die Ärmel ihrer Kleidung sind länger als alles, was ich bisher gesehen habe, ebenso ihre Kleider, und alle haben die Haare auf die gleiche Weise zusammengebunden. Sie werfen den Soldaten, die am Straßenrand stehen,

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