Das dunkle Paradies
Tablette heraus, hält sie zwischen Daumen und Zeigefinger. »Hast du dich nie gefragt, weshalb ich das Mittel weder dir noch Davy gegeben habe?«
Ich trete von einem Fuß auf den anderen. »Als Strafe vielleicht.«
Er schüttelt den Kopf. »Nörgelt Mr Ledger etwa immer noch herum?«
Ich zucke die Achseln. »Manchmal. Ein bisschen.«
»Sie haben die Arznei gefunden. Und dann haben sie sich von ihr abhängig gemacht.« Er deutet auf die langen Reihen von Kisten und Schachteln. »Und jetzt habe ich alles, was sie so nötig brauchen …«
Er legt die Tablette wieder zurück. Sein Lächeln wird jetzt breiter.
»Ihr wolltet mit mir sprechen?«, murmle ich.
»Du hast wirklich keine Ahnung, oder?«
»Was soll das heißen?«
Er macht wieder eine kleine Pause, dann sagt er: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Todd.«
Mir klappt die Kinnlade herunter. Und dann noch ein Stück weiter.
»Du hattest vor vier Tagen Geburtstag. Ich bin erstaunt, dass du gar nichts davon gesagt hast.«
Ich kann es nicht fassen. Ich habe es total vergessen.
»Keine Feierlichkeiten«, sagt der Bürgermeister, »denn wir beide wissen ja, dass du inzwischen schon längst ein Mann bist, nicht wahr?«
Und wieder lasse ich in meinem Lärm Bilder von Aaron aufsteigen.
»Du hast mich in den letzten Tagen sehr beeindruckt«, sagt er, ohne davon Notiz zu nehmen. »Ich weiß, es war nicht leicht für dich, du wusstest nicht, ob du das, was ich dir über Viola sagte, glauben konntest, wusstest nicht genau, wie du dich verhalten solltest, damit ihr nichts geschieht.« Seine Stimme hallt in meinem Kopf wider, sucht darin herum. »Aber trotzdem hast du schwer gearbeitet. Du hattest sogar auf David einen guten Einfluss.«
Ich kann nicht anders, ich male mir aus, wie ich Davy Prentiss am liebsten zu einem blutigen Klumpen schlagen würde, aber Bürgermeister Prentiss sagt einfach nur: »Zur Belohnung möchte ich dir zwei verspätete Geburtstagsgeschenke überreichen.«
Mein Lärm wird lauter. »Kann ich sie sehen?«
Er lächelt, so als hätte er diese Frage erwartet. »Nein, das kannst du nicht«, antwortet er, »aber ich will dir eines versprechen, Todd: An dem Tag, an dem es dir gelingt, mir zu vertrauen, an dem du wirklich begreifst, dass ich nur das Beste für diese Stadt will und für dich, an diesem Tag wirst du auch erkennen, dass ich dein Vertrauen wirklich verdiene.«
Ich höre meinen keuchenden Atem. So deutlich hat er noch nie gesagt, dass es ihr gut geht.
»Dein erstes Geburtstagsgeschenk hast du dir selbst verdient«, fährt er fort. »Ab Morgen hast du eine neue Arbeit. Du wirst zwar immer noch bei unseren Freunden, den Spackle, bleiben, aber du wirst mehr Verantwortung tragen und einen wichtigen Beitrag zu unserem Fortschritt leisten.« Er blickt mir fest in die Augen. »Es ist eine Arbeit, bei der du etwas werden kannst, Todd Hewitt.«
»Ein Anführer?«, frage ich, und der Hohn in meiner Stimme ist beißender, als ihm wahrscheinlich lieb ist.
»In der Tat«, erwidert er.
»Und das zweite Geschenk?«, frage ich, immer noch in der Hoffnung, dass sie dieses Geschenk sein könnte.
»Mein zweites Geschenk für dich, hier inmitten all dieser Arznei«, er zeigt wieder auf die vielen Kisten, »ist, dass ich dir nichts davon geben werde.«
Ich reiße den Mund auf. »Was?«
Aber da tritt er schon auf mich zu …
… und geht an mir vorbei.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.
Die Worte gellen in meinem Kopf, genau wie damals, sie kommen mitten aus mir selbst, mitten aus meinem Ich.
Ich mache einen Satz, so überrascht bin ich.
»Weshalb kann ich das hören, obwohl Ihr doch bestimmt die Arznei nehmt?«, frage ich ihn.
Aber er lächelt mich nur listig an, geht die Treppe hinauf und lässt mich allein zurück.
Nachträglich alles Gute zum Geburtstag, Todd.
Ich bin Todd Hewitt, denke ich, als ich in dieser Nacht im Bett liege und in die Dunkelheit starre. Ich bin Todd Hewitt und vor vier Tagen bin ich ein Mann geworden.
Aber ich fühle mich kein bisschen anders.
Wie sehr habe ich mich nach diesem Tag gesehnt, welche Bedeutung hatte er für mich, und jetzt bin ich immer noch derselbe alte bescheuerte Todd Hewitt, der nicht imstande ist, überhaupt etwas zu tun, der nicht in der Lage ist, sich selbst zu retten, geschweige denn sie.
Scheißverdammter Todd Hewitt.
Und wie ich so daliege, im Dunkeln, während Bürgermeister Ledger auf seiner Matratze vor sich hin schnarcht, höre ich ein dumpfes Peng! , irgendwo in
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