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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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nervöse Blicke zu, auch mir und Davy, während sie die Treppe am Vordereingang des Ladens herunterkommen.
    Und da sind wieder diese Stille und dieser Schmerz in meiner Brust, und ich muss mir die Augen reiben, wenn ich sicher bin, dass Davy nicht herschaut.
    Denn sie ist nicht dabei.
    »Sie sind spät dran«, sagt Davy. Seine Stimme ist so leise, dass ich denke: Auch er hat bestimmt seit Wochen keine Frau gesehen. »Sie sollten vor Sonnenuntergang doch längst in ihren Quartieren sein.«
    Unsre Blicke folgen ihnen, während sie, die Einkaufstüten fest an sich gepresst, an uns vorbeigehen, die Straße entlang zu den Frauenunterkünften, meine Brust krampft sich zusammen, und ich spüre einen Kloß in der Kehle.
    Denn sie ist nicht dabei.
    Und ich weiß …
    Ich weiß wieder, wie sehr ich sie …
    Und mein Lärm wird ganz trüb und verworren.
    Bürgermeister Prentiss hat sie als Druckmittel gegen mich benutzt.
    Pah!
    Jeder verdammte Idiot hätte das bemerkt. Wenn ich nicht tue, was sie von mir wollen, dann bringen sie sie um. Wenn ich zu fliehen versuche, dann bringen sie sie um. Wenn ich Davy etwas antue, dann bringen sie sie um.
    Wenn sie nicht schon tot ist.
    Mein Lärm wird finsterer.
    Nein.
    Nein, denke ich.
    Denn vielleicht ist sie doch noch nicht tot.
    Vielleicht war sie hier draußen, auf genau dieser Straße, aber in einer anderen Gruppe aus vier Frauen.
    Bleib am Leben, denke ich. Bitte, bitte, bitte bleib noch am Leben!
    Ich stehe an der Maueröffnung, während Bürgermeister Ledger und ich unser Abendbrot essen, und halte wieder einmal Ausschau nach ihr, während ich gleichzeitig versuche meine Ohren vor dem Dröhnen zu verschließen.
    Denn Bürgermeister Ledger hat Recht. Hier leben so viele Männer, und seit die Arznei nicht mehr durch ihre Adern pulst, kann man den Lärm eines Einzelnen nicht mehr von dem der anderen unterscheiden. Es ist, als wollte man einen Wassertropfen aus einem Fluss heraushören. Ihr Lärm ist wie eine einzige schreiende Mauer und man versteht nur:
    DRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHN
DRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHN
DRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHN
DRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHN
DRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHN
DRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHNDRÖHN
    Aber man kann sich tatsächlich daran gewöhnen. In gewisser Weise sind die Worte, Gedanken und Gefühle von Bürgermeister Ledger, die aus seinem grauen Lärm sprudeln, viel störender.
    »Ganz richtig«, sagt er und klopft sich auf den Bauch. »Ein Mann kann Gedanken haben, eine Menschenmenge jedoch nicht.«
    »Eine Armee auch«, erwidere ich.
    »Nur wenn sie einen Anführer hat, der ihr Gehirn ist.«
    Er blickt durch die Öffnung neben mir hinaus, während er das sagt. Denn dort unten reitet Bürgermeister Prentiss über den Platz, gefolgt von Mr Hammar, Mr Tate, Mr Morgan und Mr O’Hare, die seinen Befehlen lauschen.
    »Das ist der innerste Kreis der Macht«, sagt Bürgermeister Ledger.
    Einen Moment lang frage ich mich, ob Neid in seinem Lärm mitschwingt.
    Der Bürgermeister steigt vom Pferd, übergibt Mr Tate die Zügel und verschwindet in der Kathedrale.
    Keine zwei Minuten später höre ich das bekannte Tschack! und Mr Collins öffnet die Tür.
    »Der Präsident will mit dir reden«, sagt er zu mir.
    »Einen Augenblick, Todd«, sagt der Bürgermeister, öffnet eine der Kisten und schaut hinein.
    Wir sind im Keller der Kathedrale, Mr Collins hat mich die Treppe hinunter und in diesen abgelegenen Teil des Gebäudes gedrängt. Da stehe ich nun und warte und frage mich, wie viel von meinem Abendessen Bürgermeister Ledger wohl verzehrt hat, wenn ich wieder zurück bin.
    Ich beobachte Bürgermeister Prentiss, wie er noch eine weitere Kiste durchsucht.
    »Präsident Prentiss«, verbessert er mich, ohne aufzuschauen. »Merk dir das endlich.« Er richtet sich auf. »Früher hat man hier Wein gelagert. Viel mehr, als man für die Messfeiern brauchte.«
    Ich sage kein Wort.
    Er blickt mich neugierig an. »Du fragst mich gar nicht.«
    »Was sollte ich Euch fragen?«
    »Nach der Arznei, Todd«, sagt er und schlägt mit der Faust auf eine der Kisten. »Meine Leute haben sie bis zum letzten Quäntchen aus jedem Haus in New Prentisstown geholt und hier sind nun alle Reste versammelt.«
    Er greift in eine Kiste und holt ein Fläschchen mit Pillen hervor. Er dreht den Verschluss auf und nimmt eine kleine weiße

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