Das dunkle Paradies
…« Sie hält inne und beugt sich näher zum Fenster. »Das war jetzt die letzte Vierergruppe.«
Vier Soldaten gehen die Straße entlang.
Wenn das Schema, das Maddy herausgefunden hat, stimmt, dann ist es jetzt an der Zeit.
Wenn es stimmt.
»Bist du bereit?«, flüstere ich.
»Natürlich nicht«, antwortet Maddy mit einem ängstlichen Lächeln. »Aber ich gehe mit.«
Sie verschränkt die Hände, damit man nicht sieht, wie sie zittern. »Wir schauen uns nur um«, beruhige ich sie. »Mehr nicht. Wir gehen nach draußen, und eh du dichs versiehst, sind wir wieder zurück.«
Maddy sieht noch immer so aus, als hätte sie Angst, aber sie nickt. »So etwas habe ich noch nie gemacht.«
»Mach dir keine Sorgen«, sage ich und öffne das Fenster weit. »Was das angeht, kenne ich mich aus.«
Das Dröhnen der schlafenden Stadt übertönt das Geräusch unserer Schritte noch immer, als wir über den dunklen Rasen schleichen. Nur die beiden Sichelmonde spenden Licht.
Wir kommen bis zum Graben am Rand der Straße und verkriechen uns dort im Gebüsch.
»Was jetzt?«, flüstert Maddy.
»Du hast gesagt, zwei Minuten, dann kommen wieder zwei Wachen.«
Maddy nickt im Halbdunkel. »Dann haben wir wieder sieben Minuten lang Ruhe.«
Während dieser Zeit werden Maddy und ich die Straße entlanglaufen, dicht neben den Bäumen in Deckung bleiben und schauen, wie nahe wir an den Sendeturm gelangen können, wenn es überhaupt einer ist.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, flüstere ich.
»Ja«, flüstert sie zurück. »Ich habe Angst, aber es ist auch irgendwie aufregend.«
Ich weiß genau, wie ihr zumute ist. Es ist verrückt, es ist gefährlich, hier draußen im Schutz der Nacht in einem Graben herumzukriechen, aber endlich habe ich das Gefühl, etwas zu tun, endlich habe ich das Gefühl, mein eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen, zum ersten Mal seit mich die Heilerinnen in dieses Bett gesteckt haben.
Endlich habe ich das Gefühl, etwas für Todd zu tun.
Wir hören Kies auf dem Weg knirschen und ducken uns noch etwas tiefer, als die Soldaten, auf die wir gewartet haben, an uns vorbeigehen.
»Los jetzt!«, sage ich.
Halb gebückt huschen wir den Graben entlang.
»Ist noch jemand von deiner Familie in den Raumschiffen?«, fragt Maddy im Flüsterton. »Außer deinem Vater und deiner Mutter?«
Ich zucke zusammen, weil sie nicht leise ist, aber ich weiß, sie spricht nur, um gegen ihre Nervosität anzukämpfen. »Nein, aber ich kenne alle. Bradley Tench, er ist der Chefbetreuer auf der Beta , und Simone Watkin auf der Gamma , sie ist echt toll.«
Der Graben und die Straße machen eine Kurve, dann kommen wir zu einer Querstraße, auf der wir weitergehen.
Maddy hört nicht auf zu plappern. »Also ist es Simone …«
»Psst«, zische ich, denn ich meine, etwas gehört zu haben.
Maddy kommt ganz nahe zu mir und drückt sich an mich. Sie zittert am ganzen Körper, ihr Atem geht stoßweise. Diesmal musste sie mich begleiten, weil sie weiß, wo der Turm steht, aber ich kann sie unmöglich bitten, ein zweites Mal mitzukommen. Beim nächsten Mal gehe ich allein.
Denn falls irgendetwas schiefgeht …
»Ich glaube, da war nichts«, beruhige ich sie.
Wir steigen langsam aus dem Graben und überqueren die Straße. Dabei sichern wir uns fortwährend nach hinten ab und setzen unsere Füße ganz sachte auf den Kiesboden.
»Wo wollt ihr hin?«, fragt plötzlich eine Stimme.
Maddy hinter mir schnappt nach Luft. Ein Soldat lehnt an einem Baum, die Beine über Kreuz, er ist die Lässigkeit in Person.
Sogar im Licht der Monde sehe ich, dass ein Gewehr von seiner Schulter baumelt.
»Ein bisschen spät, um sich draußen rumzutreiben.«
»Wir haben uns verlaufen«, stottere ich. »Wir haben die anderen aus den Augen verloren …«
»Ja«, unterbricht er mich. »Darauf gehe ich jede Wette ein.«
Am Reißverschluss seiner Uniformjacke zündet er ein Streichholz an. Im Lichtschein sehe ich, dass »Sergeant Hammar« auf seiner Brusttasche steht. Mit dem Streichholz zündet er eine Zigarette an, die zwischen seinen Lippen steckt.
Der Bürgermeister hat das Rauchen verboten.
Aber vielleicht gilt das nicht für einen Offizier.
Für einen Offizier ohne Lärm, der sich im Dunkeln verstecken kann.
Er tritt einen Schritt vor und wir erkennen sein Gesicht. Er grinst mit der Zigarette im Mund, es ist ein widerwärtiges Grinsen, das widerwärtigste, das ich je gesehen habe.
»Du?«, sagt er, während er näher kommt, und ich höre
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