Das dunkle Paradies
Bürgermeister Prentiss’ Mund.
Ich mache mich los und er lässt die Arme sinken.
Ich drehe mich um.
Und da, im nachmittäglichen Sonnenschein, auf dem Platz, keine zehn Meter entfernt auf einem Pferd …
Da ist er.
Er ist es.
Er ist es.
»Todd!«, schreie ich und renne auch schon los.
Er bleibt wie angewurzelt stehen, wo er von seinem Pferd herabgerutscht ist, sein Arm ist seltsam verdreht, und ich höre, wie sein Lärm Viola! brüllt, aber ich höre auch den Schmerz in seinem Arm und die Verwirrung, die sich in alles mischt, aber meine Gedanken sind in Aufruhr und mein Herz klopft viel zu laut, ich schaffe es nicht, irgendeinen Gedanken deutlich herauszuhören.
»Todd!«, schreie ich wieder, und jetzt bin ich bei ihm, sein Lärm öffnet sich noch weiter für mich und hüllt mich ein wie ein Leinentuch, und ich ziehe ihn an mich, drücke ihn an mich, will ihn nie wieder loslassen, und er schreit auf vor Schmerz, aber er zieht mich mit seinem anderen Arm zu sich, er zieht mich an sich, zieht mich an sich …
»Ich habe geglaubt, du wärst tot«, sagt er, und ich spüre seinen Atem in meinem Nacken. »Ich habe geglaubt, du wärst tot.«
»Todd …« Ich weine, das Einzige, was ich hervorbringen kann, ist sein Name. »Todd.«
Er stöhnt laut auf, ich sehe den Schmerz so grell in seinem Lärm, dass es mich fast blendet. »Dein Arm«, sage ich und mache einen Schritt zurück.
»Gebrochen«, stößt er hervor, »gebrochen von …«
»Todd?«, fragt der Bürgermeister hinter uns. »Du bist früh zurück.«
»Mein Arm«, sagt Todd. »Die Spackle …«
»Die Spackle?«, frage ich.
»Das sieht schlimm aus, Todd«, sagt der Bürgermeister über unsere Köpfe hinweg. »Wir müssen das gleich richten lassen.«
»Er kann mit mir zu Mistress Coyle gehen.«
»Viola«, sagt der Bürgermeister, und ich höre, wie Todd denkt Viola? und sich nicht genug darüber wundern kann, wie der Bürgermeister mit mir spricht. »Das Haus der Heilung ist viel zu weit weg, Todd kann mit einer so schlimmen Verletzung nicht bis dorthin reiten.«
»Dann komme ich mit dir«, schlage ich vor. »Ich werde nämlich als Gehilfin ausgebildet!«
»Du wirst was?«, fragt Todd. Sein Schmerz heult in seinem Lärm wie eine Sirene, aber er blickt immer noch zwischen mir und dem Bürgermeister hin und her. »Was geht hier vor? Woher weißt du …«
»Ich werde dir alles erklären«, sagt der Bürgermeister und fasst Todd an seinem gesunden Arm, »wenn deine Verletzung versorgt ist.« Er wendet sich mir zu. »Die Einladung für morgen gilt noch. Aber jetzt musst du zur Beerdigung.«
»Beerdigung?«, fragt Todd. »Welche Beerdigung?«
»Bis morgen«, sagt der Bürgermeister entschieden und zieht Todd mit sich.
»Wartet!«, rufe ich ihnen nach.
»Viola!«, ruft Todd und windet sich aus dem Griff des Bürgermeisters, aber dann fährt ein Ruck durch seinen gebrochenen Arm, und er fällt auf die Knie, der Schmerz ist so laut, so überdeutlich in seinem Lärm, dass sogar die Soldaten beim Exerzieren innehalten, als sie ihn hören. Ich will zu ihm rennen und ihm helfen, aber der Bürgermeister streckt seine Hand aus und hält mich zurück.
»Geh«, sagt er, und sein Ton duldet keinen Widerspruch. »Ich werde Todd helfen. Du gehst jetzt zur Beerdigung und trauerst um deine Freundin. Und morgen Abend wirst du Todd wiedersehen, dann ist er wieder so gut wie neu.«
Viola? , fragt Todds Lärm wieder, und er muss sich jetzt so anstrengen, nicht vor lauter Schmerzen zu weinen, dass ich glaube, er kann gar nicht sprechen.
»Morgen, Todd«, sage ich laut und versuche seinen Lärm zu durchdringen. »Wir sehen uns morgen.«
Viola! , ruft er noch einmal, doch der Bürgermeister führt ihn weg.
»Ihr habt es versprochen!«, rufe ich ihnen nach. »Denkt daran, Ihr habt es versprochen!«
Der Bürgermeister lächelt. »Denk daran, auch du hast etwas versprochen.«
Habe ich das?
Ich blicke ihnen nach, wie sie gehen, und dann sind sie auch schon weg.
Aber Todd …
Todd ist am Leben.
Ich muss mich ein paar Augenblicke lang ganz tief bis auf den Boden niederbeugen, bis ich es glauben kann.
»Und mit tief betrübtem Herzen vertrauen wir dich der Erde an.«
»Da.« Nachdem die Priesterin geendet hat, nimmt Mistress Coyle meine Hand und häuft etwas Erde hinein. »Wir verstreuen sie über dem Sarg.«
Ich starre auf den Staub in meiner Hand. »Warum?«
»Damit Maddy von uns allen gemeinsam beerdigt wird.« Sie nimmt mich mit zu den Heilerinnen, die sich
Weitere Kostenlose Bücher