Das dunkle Paradies
langt er wieder in die Tasche. »Nimm die«, sagt er und reicht mir eine Handvoll Metallbänder, die mit einem langen Metallstreifen zusammengebunden sind.
Da wird mir erst klar, was ich in der Hand halte.
»Das tun wir nicht«, sage ich.
»Oh doch, das tun wir.« Er nimmt ein anderes Werkzeug zur Hand, ein Werkzeug, das ich gut kenne.
Damit haben wir in Prentisstown die Schafe markiert. Man nimmt das Ding, das Davy in der Hand hält, und dann legt man dem Schaf ein Metallband ums Bein. Das Gerät nietet die Enden fest zusammen, viel zu fest, so fest, dass das Band in die Haut einschneidet, so fest, dass sich das Bein entzündet. Aber das Metallband ist mit einem Wirkstoff getränkt, der die Entzündung bekämpft, deshalb beginnt die Haut um das Metallband herum zu heilen, das Band wächst allmählich ein und tritt an die Stelle der Haut.
Ich betrachte wieder die Spackle und sie blicken ihrerseits zu uns herüber. Denn der Haken an der Sache ist der: Wenn man das Band abnimmt, dann heilt die Wunde nicht. Die Schafe würden verbluten, wenn man es täte. Wenn man das Metallband festnietet, ist das für immer und ewig.
»Dann stell dir doch vor, es wären Schafe«, sagt Davy. Mit dem Nietapparat in der Hand steht er auf und lässt seinen Blick über die Spackle schweifen. »Stellt euch in Reih und Glied auf!«
»Wir arbeiten einen Abschnitt nach dem andern ab«, ruft er und fuchtelt dabei vor den Spackle herum, in der einen Hand den Nietapparat, in der anderen die Pistole. Die Soldaten, die auf den Steinmauern stehen, haben ihre Gewehre auf die Spackle gerichtet, die dicht beisammenstehen. »Sobald ihr eure Nummer habt, bleibt ihr in eurem Abschnitt und geht nicht weg, kapiert?«
Und sie scheinen kapiert zu haben.
So viel ist sicher.
Sie verstehen viel mehr als jedes Schaf.
Ich blicke auf das Bündel Metallbänder in meiner Hand. »Davy, das ist …«
»Beweg dich, Schweinebacke«, ruft er ungeduldig. »Wir müssen zweihundert pro Tag schaffen.«
Ich muss schlucken. Der erste Spackle, der in der Schlange wartet, wendet seinen Blick keine Sekunde lang von den Metallbändern. Er ist einer von den kleineren, vermutlich ein weiblicher Spackle, manchmal kann man das an der Farbe der Flechten erkennen, die sie anstelle von Kleidung am Leib tragen. Sie ist viel kleiner als gewöhnliche Spackle. Höchstens so groß wie ich.
Und ich denke: Wenn ich es nicht tue, wenn ich ihnen nicht diese Bänder anlege, dann wird es ein anderer tun, dem völlig egal ist, ob es wehtut oder nicht. Es ist besser für sie, wenn jemand wie ich das macht, jemand, der sie gut behandeln will. Auf keinen Fall sollte ich es Davy allein überlassen.
Nicht wahr?
(Nicht wahr?)
»Leg ihm endlich das blöde Band um den Arm, sonst stehen wir noch den ganzen Scheißmorgen hier herum«, beschwert sich Davy.
Ich gebe ihr zu verstehen, dass sie den Arm ausstrecken soll. Sie streckt ihn aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Starrt mich an. Ich muss wieder schlucken. Ich öffne das Bündel mit den Metallbändern und ziehe Nummer 0001 heraus.
Ich nehme ihre Hand und halte sie fest.
Sie ist warm, viel wärmer, als ich es mir vorgestellt habe, denn sie sieht so weiß und kalt aus.
Ich lege das Band um ihr Handgelenk.
Ich fühle, wie ihr Puls unter meinen Fingerspitzen pocht.
Sie blickt mich unverwandt an.
»Es tut mir leid«, flüstere ich.
Davy kommt herbei und steckt die beiden Enden des Bands in seinen Nietapparat, verdrillt sie so fest, dass die Spackle-Frau vor Schmerz zu zischen beginnt, dann drückt er die Griffe des Apparats mit aller Kraft zusammen, befestigt das Metallband an ihrem Handgelenk und macht sie für immer zur Nummer 0001.
Unter dem Band quillt Blut hervor. Das Blut von 0001 ist rot.
(Das habe ich schon vorher gewusst.)
Sie umklammert mit der anderen Hand ihr Handgelenk und geht weg, dabei starrt sie uns noch immer an, noch immer kein Lidschlag, ihr Schweigen ist wie ein Fluch.
Keiner von ihnen wehrt sich. Sie stellen sich einfach einer nach dem anderen auf und starren und starren und starren uns an. Ab und zu verständigen sie sich untereinander mit ihren schnalzenden Zungengeräuschen, aber man hört keinen Lärm von ihnen, keiner begehrt auf, keiner leistet Widerstand.
Und das macht Davy immer wütender.
»Blödes Vieh!«, schimpft er und hält das Band einen Augenblick lang verdrillt, ehe er es zusammenklammert, nur um herauszufinden, wie lange sie zischen können. Und er hält es auch dann noch gespannt, ein,
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